
Man entdeckt keine neuen Erdteile, ohne den Mut zu haben, alte Küsten aus den Augen zu verlieren.
André Gide
Milchkartons können ein neues Leben haben. Eine Ikebanaarbeit im Kurs von letzter Woche. Darauf wäre ich selbst nicht gekommen.

20 Uhr. Seit acht Stunden ist ein Handwerker im Haus und bringt ein hochkomplexes Gerät in Verbindung mit der Photovoltaikanlage an. Der Strom muss deshalb ständig ausgestellt werden. Alle Rechner runterfahren, Telefonanlage ist ewig tot. Am Ende stellt sich raus – dass es nicht funktioniert, liegt an einem fehlenden Update. Vielleicht. Der Tag war chaotisch, dennoch hat sich vieles auf seltsame Weise gefügt. Komisch, wenn kein Telefon funktioniert und die Mails in Stapeln einlaufen. Für den Bruder war das total anstrengend, jedes Mal, wenn er sich hinlegte zum Schlafen wurde gebohrt und gehämmert. Dafür haben wir heute Fieber und Harnstau. Stress verträgt er einfach gar nicht. Nebenher läuft der Dampfentsafter (so Strom da war), der Dörrautomat sorgt dafür, dass Glas um Glas gefüllt wird mit Apfelwürfeln. Wintervorräte beruhigen meine Nerven.
Dazwischen kehren meine Gedanken immer wieder zurück zur Verbindung der Begriffe „kokoro“ und „Interbeing“. Sie bevölkern meinen Geist seit Wochen und ich bin sehr gespannt, wo mich diese Reise hinführen mag.
Einen feinen Jupitertagtag dir!

Shin, Soe und Tai. Drei Zweige oder Stängel einer Pflanze mit unterschiedlicher Bedeutung. Shin steht für den gegenwärtigen Moment, Soe für die Vergänglichkeit und Tai für die Zukunft. Entscheidend für die Gestaltung ist die Frage, von wo das Sonnenlicht kommt.
Anfänger starten mit dieser Übung und erfahren daran – Ikebana ist eine Meditationsform. Wir wandern durch die Natur mit achtsamen Augen. Welches Blatt könnte wofür stehen? Abgeschnitten wird nur, wenn feststeht – genau das ist es. Exakt dieses Blatt hat die richtige Biegung, das richtige Alter, die passende Form.
Einen Tag haben wir geschaut, sind durch den Wald gestreift auf der Suche nach welkem Farn. Im Wald war kein einziger welk, in den Beeten sehr wohl, doch das war nicht gewünscht, es sollte in der freien Natur gesucht und gefunden werden. Kurz bevor wir aufgeben wollten, fanden wir einen Büschel Farn, der näher am Waldrand stand und zartestes Gelb im Grün aufwies. Bingo. Bis dann alles in der richtigen Richtung, Aufreihung und Biegung passte, war es Abend. Staunend erlebten wir, wie die Meisterin des Ikabana einzelne Blüten und Blättchen in der Hand bog, Stängeln eine etwas akzentuiertere Biegung verpasste oder fragte: „Wo genau steht deine Sonne? Schau mal genau, du brauchst zwei Sonnen für deinen Farn, oder?“ Grandios, was man an drei Stängeln erleben kann und wie sicher man viele Male scheitert. „No more plants were harmed“ übrigens. Ganz strikte Anweisung: Nur entnehmen, wenn die Entscheidung klar gefallen ist. Lieber zehn Mal schauen als einmal schneiden. Achtsamkeit vom Feinsten.

Für meinen Minirückzug in die Stille hatte ich mir ein Wort mitgenommen, das ich überdenken, erfahren, erleben und vielleicht erkennen wollte: kokoro. Das ist der japanische Begriff für, ja, für was? Genau das war die Frage. Eine schlichte Übersetzung lautet achtsames Herz, doch es ist viel, viel mehr. Ich fand viele Entsprechungen mit den Nebenübungen von Rudolf Steiner und seinen Leitsätzen, Einladungen zum Denken, aber vor allem auch Erleben. Herz, Verstand, Stille, Dankbarkeit, Präsenz, die Erkenntnis, dass menschliches Leben im Alltag gestaltet sein will mit Bedacht und Tatkraft, mit dem Wissen um die Vergänglichkeit allen Seins, ein Weg, der sich uns oft erst im Rückblick erschließt. In kokoro treffen sich Ost und West auf eine gute Weise, denn auch wir kennen das christliche Herzensgebet, Achtsamkeitsübungen und Stille, „ora et labora“, vom Heiligen Benedikt als Ein- und Ausatemprozesse des Tages spürbar und vieles mehr. Jeder erlebt Schönes und Schweres, Leichtes und Lastendes. Entscheidend ist, wie wir mit diesen Erfahrensschichten umgehen, ob sie uns Fundament für Standfestigkeit verleihen durch Integration oder einen Kampfplatz darstellen, weil wir damit ringen. Das Herz wählt stets weise.
Einen kraftvollen Marstag!

Sich selbst des Denkens Leuchten
Im Innern kraftvoll zu entfachen
Erlebtes sinnvoll deutend
Aus Weltengeistes Kräftequell
Ist mir nun Sommererbe
Ist Herbstesruhe und auch Winterhoffnung.
Wochenspruch aus dem anthroposophischen Seelenkalender von Rudolf Steiner.
Stephanie hat das Bild aus der Schweiz mitgebracht. Danke dir!

Drei Tage intensive Beschäftigung mit Pflanzen im Ikebana-Kurs am Benediktushof. Sich voll und ganz auf die Pflanze einlassen – ihren Wuchs und wie sie auf dem Kenzan, dem Steckigel, sorgsam arrangiert werden. Dafür sorgen, dass Überflüssiges entfernt wird. Bei manchen Übungen kam es darauf an, den Sonnenstand zu berücksichtigen, auf den alle Pflanzen eines Arrangements „schauen“, bei anderen, den Leerraum auf besondere Weise als den Raum des Entstehens der Wirkung zu beachten. Eingebettet war das Seminar in Sitzen in der Stille, Gehmeditation und vor allem Schweigen.
Das Gehen, wenn es morgens noch richtig dunkel und kalt ist oder abends, wenn die Sterne in der frostigen Luft besonders funkeln. Sitzen und erkennen, wie die Gedanken sich jagen. Die Freude, nicht auf ein Handy, Mails oder Information von außen zu reagieren, sondern sich beim Suchen nach passenden Pflanzen in Wald und Flur nur auf das Wahrnehmen der Landschaft, beim Essen auf den Geschmack der Mahlzeiten zu konzentrieren. Stille ist eine enorme Kraft und die drei Tage waren gefühlt ein Tropfen auf einen heißen Stein. In der Praxis jedenfalls steht für diese Woche ein feines Gesteck aus den Fundstücken der letzten Tage als Gruß für die Menschen, mit denen ich arbeiten werde.
Allen einen gelingenden Wochenstart.
Mein erster Versuch in der Rubrik „Freestyle“.

Bis inklusive Sonntag ist Ruhe im Karton. Wenn mit dem Bruder morgen alles gut ist, bin ich im Schweigeretreat. Dem kürzesten, das ich je gemacht habe, doch lieber kurz als gar nicht. Knapp vier Tage, in denen gesprochene Sprache fern meiner Ohren bleiben darf, mein Gehirn sich resettet. Vor dem Aufheben des Schweigens werde ich flüchten, denn beim letzten Mal war die erste Frage meines Tischnachbarn „Hattest du hier auch kein Wlan?“ Hier gibt es kein Wlan auf dem Gelände. Kein Gebabbel. Kein „wer bist du, was machst du so“. Hier haben alle unauffällige Kleidung an und verbeugen sich. Ich werde keine Mails lesen, keine Posts schreiben, keine Antworten geben, mich nicht zu Klienten beugen, keinen Inhalt vermitteln. Einfach still sein und atmen. Das gigantische Rauschen im Kopf staunend wahrnehmen und sacht beobachten, wie es hoffentlich abebbt.
Allen eine frohe Zeit im Lärm der Welt, bis Montag!


Gabi backt gern Marmorkuchen. Manchmal mit aussagekräftiger Botschaft! Vor Jahren tauchten Alpha und Omega auf, vor wenigen Wochen war es eine Welle. Erstaunlich, wenn man den Kuchen an der offenbar genau richtigen Stelle aufschneidet. Was haben wir alles nicht gesehen, bemerkt und gestaunt, weil wir an anderen Stellen irgendetwas aufgeschnitten, geöffnet und getan haben. Ist es nicht erstaunlich, wie viele Zufälle zusammenkommen, dass wir solche Entdeckungen machen? Was, wenn dieser Tag heute viele „Zu-Fälle“ für dich bereithält, die du staunend wahrnimmst und dich fragst – wie kann das nur geschehen? Mögen es wunderbare Momente heute sein an diesem sonnigen Wochenteilungstag.
Danke an Gabi für die Fotos.
PS Wie es aussieht, werden die Kuchenformen kleiner. Also bei Gabi.

Herbstbild
Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!
Die Luft ist still, als atmete man kaum,
Und dennoch fallen raschelnd, fern und nah,
Die schönsten Früchte ab von jedem Baum.
O stört sie nicht, die Feier der Natur!
Dies ist die Lese, die sie selber hält,
Denn heute löst sich von den Zweigen nur,
Was vor dem milden Strahl der Sonne fällt.
Friedrich Hebbel, 1813 – 1863
Stephanie ist wieder einmal im Engadin beim Wandern unterwegs und hat dieses unglaubliche Foto geschickt. Danke dir!

Jede kleine Pause wird genutzt zur Verarbeitung von Quitten und anderem Obst. Manchmal muss man schnell sein, damit nichts verdirbt. Der gute alte Entsafter hat wieder Hochbetrieb, ebenso der Dörrautomat, denn Apfelwürfelchen sind bei uns die beliebteste Frühstückszutat.
Spannende Themen werden die Klienten diese Woche mitbringen, diese Woche ist fast komplett eine Berufsthemenwoche, daneben einige Aufstellungen.
Im Garten versuchen wir gerade aus den Blättern und abgeschnittenen Zweigen die Hochbeete des Gewächshauses von unten her gut aufzubauen, dann kann sich alles über den Winter setzen und im Frühjahr startet der Anbau. Einige Kübelpflanzen werden das erste Mal im Gewächshaus überwintern, mal schauen, wie das klappt. So ist noch rund ums Haus jede Menge zu tun, im Gewächshaus erst recht, da wird dann über den Winter in Ruhe die Beschattung angebracht, das haben wir noch nicht geschafft. Dafür sind die Wasserbehälter installiert, damit wir möglichst viel Regenwasser auffangen können.
Allen einen tatkräftigen Dienstag!
Bei harten Quitten verstehe ich die Erfindung von Küchenbeilen. Bei mir muss es sicherheitshalber das gute alte Omamesser sein.