Vom Leben und Sterben

Die Woche vor Feiertagen kann es sehr in sich haben. Es war Helfertag, was bedeutet – Betten abziehen, Bad putzen, Essen machen, Arzttermine, Einkäufe, alles erledigen, was Senioren ohne Auto nicht mehr machen können und sollen. Das alles ist nicht mal schnell nebenbei gemacht. Da ich mir nach wie vor Hermine Grangers Zeitumkehrer dringend wünsche, fehlt fix viel Zeit, was am Monatsende, wenn Newsletter geschrieben sein wollen, Rechnungen raus müssen und die Klienten vor den Feiertagen versorgt sein mögen nicht einfach ist. Bügeln großer Teile ist für Senioren mit kaputten Armen, Schultern und Karpaltunnensydromen nicht mehr machbar und so stapelt sich hier einiges. Mal sehen, ob es heute noch für den Newsletter reicht, sonst wird er morgen kommen. Bitte um Geduld, denn dafür brauche ich Muße.

Auf der anderen Seite stelle ich es mir enorm schwer vor. Menschen, die selbstständig waren, Geschäfte geleitet haben, erfolgreich waren, stolze, starke und unabhängige Persönlichkeiten, die jetzt Fahrdienste brauchen, einen Übersetzer beim Arzt nötig haben und erleben müssen, dass ihre Freiheiten Stück für Stück massiv beschnitten werden. Auch bemerken zu müssen, wie Partner sich im Alter nochmal sehr stark verändern können, ist schwierig. Die Prozesse sind schleichend, oft bemerken die Menschen, die miteinander leben, das nicht wirklich, aber wenn ich quasi von außen dazukomme, fallen mir Veränderungen auf. Dazwischen mein behinderter Bruder, der heute Freude an gebratenen Semmelknödeln hatte (wenn schon, denn schon, das machen sich Senioren nicht mehr selbst) und am Quark mit Obst zwischen Pflegedienst, Verweigerungen (geistig behinderte Menschen sind nicht immer leicht im Handling, vor allem bei begleitendem Autismus, aber wer mag auch schon gern dreimal am Tag einen Katheter bekommen) und einem lieben Ostergeschenk (was selbstverständlich aus lauter Süßkram bestand, was bei einem Diabetiker …). Ich brauche viel Gelassenheit und es ist vermutlich ein sehr intensiver wechselseitiger Lernprozess.

Wenn am Gründonnerstag Fußwaschung ist, haben das meine Eltern mit meinem Bruder täglich. Aufgrund seines offenen Beines kann er nicht mehr geduscht werden und so muss er jeden Tag sauber gewaschen werden. Das ist ein krasser Aufwand, wenn man selbst 85 Jahre alt ist und weder die Hände bewegen noch die Arme heben kann. Insofern verstehe ich diesbezügliche Klagen einerseits und andererseits denke ich: jo! Ruhe! Es ändert ja nix! Ich frage mich jedes Mal – wie geht würdevolles Altern? Gibt es das überhaupt? Es nahen schwere Tage, denn an einem Karfreitag vor 59 Jahren ist mein ältester Bruder als sehr junges Baby verstorben. Auch solche Dinge schwingen in der Karwoche bei uns immer mit. Wie heißt es in einem Lied so schön: „Darum ist mir der Winter einfach lieber.“ Dieses Jahr sehe ich das sehr bewusst unter dem Aspekt des Pflegens und Helfens und der Frage – was muss immer wieder im Leben sterben und was auferstehen?

Allen einen guten Jupitertag, der nun doch kein Ruhetag geworden ist.

 

Annemarie hat im Residenzgarten vor einigen Jahren fotografiert, lieben Dank für dein Bild!

Kommentar posten