Heute ausnahmsweise persönlich

Ich wurde gefragt, weshalb die Posts 2021 so kurz sind. Der Grund ist einfach. Ich habe im Moment  zwei Haushalte zu versorgen und mehrere Pflegefälle in der Familie. Vor Weihnachten ist mein Vater gestürzt und hat sich eine schwere Schulterverletzung zugezogen. Zwei Operationen waren notwendig, was zu Pandemiezeiten mit Verlegung in eine andere Stadt spannend ist. Das wahre Problem aber ist eine Dreierkombination aus 85 Jahre alten Eltern und schwerstbehindertem Bruder, der bei ihnen lebt. Bislang sind die drei meistens gut klargekommen, von zahlreichen Klinikaufenthalten der letzten Jahre abgesehen wegen diverser Operationen. Nun kollabiert das ohnehin relativ fragwürdige System final (aus meiner Sicht).

Also pendle ich derzeit jeden Tag über 100 Kilometer, um die Grundversorgung aufrecht zu erhalten. Das ist bei Senioren manchmal schon sehr aufwändig je nach Krankheitsbild. Mit einem geistig behinderten autistischen querschnittgelähmten Bruder jedoch ist es dann durchaus herausfordernd. Es kann sein, dass er sich eine Stunde weigert, sich hinzulegen, damit er frisch gewickelt werden kann. Hat er sich hingelegt, heißt es nicht, dass ihn jeder anfassen und wickeln kann, zumal mehrfach am Tag mit einem Einmalkatheter Urin gezogen werden muss, um eine schwere Niereninfektion zu vermeiden, da er nur eine Niere hat. Katheter legen können viele, Einmalkatheter kaum jemand. Da hatten wir dann die feine Situation, dass das zweimal nicht funktioniert hat und dann natürlich massive Schmerzen auftreten mit Gefahr einer massiven Infektion. Also erstmal ewig lang Blasenauflagen gemacht. Dann stand ich vor dem Einmalkatheter und dachte mir – wie war das noch? Wat mutt, dat mutt. Wenn das geschafft ist, muss man es auch erstmal hinbekommen, dass er sich waschen und anziehen lässt. Das ist bei einem Menschen, der nicht kommuniziert in üblicher Form mitunter abenteuerlich, zumal er seine festen Rituale hat, die man auch erst mal kennen muss. Wehe, die falsche Creme kommt auf die Stelle.

Da ein Pflegedienst noch kommt (und sich am Einmalkatheter mir mehr oder weniger Erfolg versucht und danach geht), warte ich abends, bis alle bettfertig sind, damit sie aufgeräumt sind für die Nacht. Da helfen Ausgangssperren leider auch wenig. Ich kann nicht zwei erwachsene Menschen um 19 Uhr ins Bett legen, damit ich um 20 Uhr Baden-Württemberg verlassen und um 21 Uhr in Bayern pünktlich daheim bin. Das führt dazu, dass ich nachts im Schnitt 30 Rehe auf der Straße stehen habe, ich langsam fahre, viel Wald, glatte Straßen und Rehe, Füchse und andere Tiere, die man sonst nie sieht. Die stehen auf der Straße und quatschen wie sonst nur die Weinfreunde auf der Würzburger Alten Mainbrücke.

Was daran zu lernen ist – es ist sehr schwer für ältere Menschen, sich einzugestehen, dass sie nicht mehr zurechtkommen können. Dann gute Wege zu finden, die allen gerecht werden, gibt es nicht. Durch die Dreierkombi der Pflegefälle steht die Frage an – wie löst man das? Für ethisch-moralische Konflikte gibt es keine Musterlösungen. Solange beharrlich darauf bestanden wird, dass alles im heimischen Umfeld nach genau den gleichen Regeln „wie immer“ zu laufen hat, wird es zunehmend enger. Und kein „Fremder“ darf kommen, denn das löst Bedenken aus. Ich sags mal so – Lernprozesse ohne Ende. Die von mir bevorzugte Lösung, alle drei in der Nähe unterzubringen, gilt als indiskutabel, das Haus wird nur mit den Füßen nach vorne verlassen, heißt es. Wie gesagt, 2021 ist spannend und die Posts werden wieder länger, wenn es möglich ist.

Ansonsten ist die Praxis ganz normal geöffnet und auch die Kurse finden ganz normal statt. Durch die Pandemie ist im Augenblick alles in der Schule auf online umgestellt. Termine in der Praxis finden wie immer statt. Viele nutzen jetzt auch klugerweise den verlängerten Lockdown, um ihre Themen aufzuräumen – das ist das Beste, was man in so einer Situation tun kann. Wer jetzt nicht aufräumt, wird später, wenn vielleicht das Leben wieder auf andere Weise starten wird, von seinen ungelösten Themen überrollt – nutzt die Zeit. Mail schicken, wir finden einen Termin.

Allen einen liebevollen Venustag!

 

Anne hat den nebelverhangenen See fotografiert, vielen Dank! Jeder Nebel lichtet sich auch wieder. Manchmal muss man einfach genau hinschauen.

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