Wo gibst du dich ganz hin?

Hingabe – ein wunderschönes Wort. Wo gibst du dich ganz und gar hin, ohne Wenn und Aber?

Damit ist nicht gemeint, am Valentinstag Blumen zu schenken, sondern den Mut zu besitzen, sich einer Sache ganz zu verschreiben, mit Kopf, Bauch, Herz für etwas oder jemanden einzustehen.

Eltern mit behinderten Kindern pflegen oft hingebungsvoll ihre Kinder, ich begleite einige Familien in der Praxis und sehe das oft genug. Bis heute wird mein schwerstbehinderter Bruder in unserer Familie gepflegt. Nach inzwischen 53 Jahren weiß ich wirklich, was das bedeutet. Um einen Menschen zu pflegen, der eine schwerste geistige Behinderung hat, Kanner-Autist ist, durch unzählige Klinikaufenthalte und OPs mit dem damals geltenden Besuchsverbot für Eltern (nur durch die Scheibe durften wir ihn sehen) hospitalisiert wurde, querschnittsgelähmt ist und aufgrund zahlloser anderer Erkrankungen dreimal am Tag katheterisiert und sechsmal gewickelt werden muss, wissen wir in unserer Familie wahrhaftig gut, was Hingabe bedeutet.

Umgedreht ist es ebenfalls Hingabe – mein Bruder entscheidet nicht, wann und was er isst. Wie warm es im Zimmer ist. Ob er beim Waschen friert oder ob er es mag, wenn er die Musik hören muss, die mein Vater hört, der mit ihm lebt, oder dass er gar sagen könnte, ob ihm etwas wehtut. Wir haben gelernt, all das bei ihm wahrzunehmen und kommunizieren auf vielfältige Weise mit ihm, nur nicht über Sprache. Mein Bruder gibt sich in die Hände der Menschen, die für ihn die Verantwortung tragen. Er muss aushalten, was mit ihm geschieht. Welche Behandlung gegen sein seit vier Jahren offenes Knie angeordnet wird. Was er trinkt, isst und wann er schlafen soll.

Alte Menschen sind oft hingebungsvoll, wenn sie einander pflegen und versorgen, damit sie nicht in ein Heim gehen müssen. Eltern sind hingebungsvoll, wenn sie ihr schreiendes Baby stundenlang tragen und beruhigen, selbst hoffnungslos übermüdet. Partner sind hingebungsvoll, wenn sie einander in allem helfen, sich beim Wachsen und Entwickeln fördern und fordern. Chefs können ebenso wie Mitarbeiter hingebungsvoll sein, wenn sie lieben, was sie tun. Jeder hat die viele Möglichkeiten der Hingabe in jedem Lebensbereich.

Khalil Gibran schreibt in „Der Prophet“: Arbeit ist sichtbar gemachte Liebe. Ich glaube, das ist für mich mit die schönste Umschreibung für Hingabe.

Wenn du dich ganz gibst, verlierst du dich nicht. Du findest dich. Auf einer anderen Ebene. An dem Ort, von dem Rumi sagt: Jenseits von Gut und Böse gibt es einen Garten. Dort treffe ich dich.

Dir einen hingebungsvollen Tag.

 

Manuela schenkt uns dieses Himmelsfoto heute. Dankeschön!

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