Mittwochs-Nachdenk-Input

„Garstig“, meinte gestern jemand zu mir und meinte das neblige nasskalte Wetter. Garstig – das Wort hatte ich seit „Herr der Ringe“ nicht mehr gehört, wo sich Gollum regelmäßig über den garstigen Sam beschwert. Am Wochenende ging es in Gesprächen einige Male um „Herr der Ringe“. Weniger um die Standarddiskussion, ob man Buch oder Film bevorzugen solle, sondern um die Frage, ob so ein Epos einst den Rang bekommen kann von anderen großen Geschichten. Das wird sich zeigen. Mir fiel Gilgamesch ein, die von Raoul Schrott einst wunderbar umgesetzte Geschichte und dass Raoul Schrott vor Jahrzehnten in Würzburg gelesen hat. Vermutlich hätte er auch das Telefonbuch vorlesen können, so schön war die Stimme zum Vorlesen geeignet.

Manchmal denke ich, wenn Menschen klagen, dass es ihnen langweilig ist oder sie einsam sind – kennt ihr das Traumlied des Olaf Åsteson, das jetzt langsam wieder hervorgekramt werden kann, denn es bezieht sich auf die Rauhnächte zwischen Weihnachten und Dreikönig. Die Edda? Ilias und Odyssee von Homer? Selbst für kleinste Geldbeutel ist der Text kostenfrei im Projekt Gutenberg zu finden. Edda, Kalevala, die Veden. Goethes Faust, Schillers Räuber, Kant und Rousseau, Samuel Pufendorf (okay, den muss man noch nicht kennen), Theodor Storm, Hermann Löns … ich könnte den Rest meines Lebens mit den zwei besten Dingen auf dem Planeten verbringen – einem guten Buch und einer guten Tasse Tee. Es wird mich am Ende meines Lebens vermutlich am meisten stören, dass ich so viele wunderbare Bücher nicht gelesen habe.

Bücher sind Freunde, sie sind Begleiter, sie wecken, rütteln auf, ermutigen, stärken und heilen. Wenn ich die Märchen der Brüder Grimm durchlese, weil ich etwas davon für Klienten brauche, muss ich einen Wecker stellen, damit ich nicht weiterlese und irgendwo im Wald verschwinde auf der Suche nach Schneeweißchen oder Rumpelstilzchen. Märchen, Sagen, Legenden (und dazu die Filmmusik aus Legenden der Leidenschaft oder Nimrod oder Bachs Air oder …).

Ernähren wir uns ruhig wieder von guten Büchern, denn aus Kenntnis kann Wissen werden, aus Wissen im Lauf des Lebens Verständnis und vielleicht Weisheit. An allem gebricht es uns im sogenannten „Informationszeitalter“. Nie wussten wir weniger von Überflüssigem. „Mensch, werde wesentlich, denn wenn die Welt vergeht, so fällt der Zufall weg, das Wesen, das besteht.“, beschied Angelus Silesius. Sollte euch die ein oder andere wesentliche Literaturgrundlage der Menschheit also fehlen: das dürfte ein sinnigeres Geschenk zur Weihnachtszeit sein als – horribile est dictu – pupsende und Jingle Bells scheppernde nackte Weihnachtsmänner.

Allen einen bewegten und beweglichen Merkurtag.

 

Das Foto des herrlichen Herbsthimmels hat Steffi eingefangen. Danke!

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