Erziehungskunst

Wurzeln und Flügel sollen die Kinder von ihren Eltern bekommen, wünscht sich Johann Wolfgang von Goethe. Erziehung von Kindern gehört zu den Meisteraufgaben auf diesem Planeten, denn es bedeutet, Kinder für eine Zukunft fit zu machen, die man selbst ja nicht mehr erlebt, für die man aber die Türen freimachen sollte. Kinder sollen es gut haben im Leben, so die Vorstellung der Eltern, ohne dass man definieren könnte, was das bedeutet. Glücklich sollen sie auch noch werden!

Für sein Glück kann man nur selbst sorgen, das können sich Eltern vielleicht für das Kind wünschen, doch was das Kind, gleich welchen Alters, glücklich macht, ist seine Sache. Und was man unter „gut haben“ oder „gut gehen“ versteht, entzieht sich ebenfalls dem elterlichen Auftrag. Was Eltern leisten sollen, wäre eher, Kindern Selbstwert zu geben, Lebensfreude zu vermitteln, ihnen viele Angebote aus vielen Bereichen zu machen, um zu sehen, welche Saiten im jeweiligen Kind schwingen, wohin es sich also entwickeln mag. Es ist Aufgabe der Eltern, die Stärken der Kinder zu erkennen und zu fördern und liebevoll aufzuzeigen, was Schwächen, also spätere Hemmschuhe, sein können. Kinder sind weder Erfüllungsgehilfen von Elternwünschen noch Menschen, die komplett geformt werden sollen, sondern vom Moment ihres Erscheinens an perfekte Wesenheiten, die ihren eigenen Lebensweg haben, ihr eigenes Schicksal, ihre Macken und nervigen Ticks, aber auch ihre Größe, Schönheit, Würde und alles, was es braucht.

Eltern dürfen Vertrauen in die Kinder stecken, warum sollten sie ihre Lebensthemen, egal, wie komplex sie auch sein werden, nicht bewältigen? Dafür wurden sie in Liebe erzogen, dass sie ihre Herausforderungen im Leben annehmen. Dass sie scheitern dürfen und aufgefangen werden, später lernen, sich selbst aufzufangen. Dass sie Fehler als Lernchancen betrachten. Dass der Mensch deshalb Mensch ist, weil er die Fähigkeit der Herzkraft hat, sozialer Architekt werden darf in dieser Welt. Das ist wichtig.

Dass jemand nun schon mit drei ein Tablet bedienen kann, ist leider keine Erziehungsleistung, eher ein Erziehungsfail. In dem Alter sollten Kinder klettern, schaukeln, Sandburgen bauen, malen, lernen mit Scheren umzugehen, wie man Schleifen bindet und kleine Knöpfe zumacht, Fichtenzapfen sammeln, Bienen beobachten, singen und tanzen und ansonsten so lang es geht am Tag draußen herumrennen, toben, im Gras liegen und durch Pfützen hopsen. Möglichst alles in Gemeinschaft mit Tieren, vielen anderen Menschen und umgeben von viel Gelassenheit.

Wie nötig das wäre, sehen wir bei unserer Aufstellungsarbeit. Wir erleben Not, Trauer, seelische Einsamkeit, gegenseitige Verletzungen, Anklagen und erlebtes Leid, ausgelöst durch enttäuschte Erwartungen und vieles mehr. Wir sehen aber auch, wie heilsam die Kraft der Liebe sein kann, wie ermutigend es ist, wenn jemand hört: „Schön, dass es dich in meinem Leben gibt“. Wie selbstverständlich nehmen wir diese Dinge und welche Göttergeschenke sind sie in Wirklichkeit.

Wurzeln und Flügel – prüfen wir mal nach, was bei uns zu kurz gekommen ist. Zwar werden wir dann vielleicht nicht mehr die Monsterwurzeln oder größten Flügel bekommen, aber darauf kommt es auch nicht an. Jede Wurzel und jeder Flügel zählen. Spürst du deine Wurzeln und Flügel gut?

Einen kraftvollen Marstag für dich.

Während Annemarie im Spessart außer Fliegenpilzen und viel Natur leider keine essbaren Pilze gefunden hat, war Theresa in Dänemark unterwegs und hat zufällig im Wald neben dem Strand so viele Pfifferlinge gefunden, dass der Abendessenstisch unerwartet reich gedeckt war. Ich freue mich, dass „die Kinder“ den Tag an der frischen Luft verbracht haben und hoffe, dass sie dadurch nicht nur ihre Wurzeln gestärkt haben, sondern in der Begegnung mit anderen Menschen auch ihre Flügel.

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