Hirnerweichung

Heute geht der Kurs für die angehenden Heilpraktiker, beschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie, zu Ende. Der zweite Kurs, der zwischen Präsenz- und Online wegen der Pandemie hin- und hergeswitcht ist.

Wir stellen eine Ausbildungsmüdigkeit fest. Entweder haben die Menschen keine Lust mehr, sich aufwändige und tiefgreifende Ausbildungen aufzuladen, weil „eh alles den Bach runtergeht“ (genau deswegen könnte das so geschehen) oder sie möchten entspannt und mit einem Glas Wein (!) daheim auf der Couch sitzen und sich Bildungsformate reinziehen.

Das hat Schattenseiten. Auf der Couch sitzend lernen wir nicht. Um etwas wahrhaft greifbar und einsetzbar mit Verantwortung für andere Menschen zu erarbeiten, muss man sich nach wie vor auf den Hosenboden setzen und dafür sorgen, dass es Formen der Überprüfung gibt: Habe ich den Lehrstoff wirklich verstanden? Kann ich ihn mit eigenen Worten erklären? Kann ich die Übungen anwenden, weil ich sie in einer Gruppe (auch das geht online problemlos) nicht nur einmal, sondern zigmal trainiert habe? Kein Mensch tritt bei Olympia an und hat sich gerade die ersten Laufschuhe seines Lebens besorgt, oder?

Der Grund für unsere Übefaulheit und Couchhockerei ist einfache Chemie: Wenn wir uns durch die Welt klicken, bedienen wir unser Belohnungszentrum im Gehirn mit Dopamin. Das freut das System. Der Haken daran: Dopamin sorgt leider nicht dafür, dass wir unseren Hintern bewegen und das, was wir „konsumiert“ haben, auch zu earbeiten, umzusetzen, zu üben und in die Welt zu tragen.

Das ist Käse? Dann lege doch gern mal für ein paar Tage deinen Taschenkobold weg. Bleib allen Medien fern. Beobachte – wie lange kann ich mich am Stück problemlos konzentrieren? Werde ich aggressiv, wenn ich nicht aufs Handy schauen darf? Stelle ich nach drei Minuten Lernen oder Arbeiten fest, dass ich mal schnell die Mails checken muss? All das ist inzwischen krasse Realität. Ohne dass es die meisten bemerkt haben, sind sie in eine knallharte Abhängigkeit gerutscht von ihren asozialen Medien, ihren Handys und andren Spielzeugen.

Die Folge: massive Konzentrationsprobleme. Ablenkbarkeit ohne Ende. Die schlimmste Folge: Wir erleben nicht mehr, dass wir ganz in unserer Arbeit aufgehen. Wir sind nicht mehr so drin in unserem Tun, dass wir gar nicht wahrnehmen, wie die Zeit vergeht, weil wir wie Kinder, die spielen, hundert Prozent bei dem sind, was wir tun. So nehmen wir uns Stück für Stück Freude und damit Lebendigkeit. Unbemerkt rutschen wir in eine negative Stimmung hinein.

Wer nur am Bildschirm sitzt und irgendetwas konsumiert, ohne sich dafür wirklich hinzusetzen, zu üben, zu lernen und sich den Stoff auf vielfältige Weise zu erarbeiten, vergisst 99 Prozent des Gehörten in kürzester Zeit, weil der nächste Input draufgepackt wird, ohne dass die „Daten gründlich und greifbar gespeichert wurden“.

Wir trudeln bedenklichen Zeiten unbemerkt entgegen.

Online-Formate können wirklich super sein. Ich konnte in den letzten Monaten an Ausbildungen teilnehmen, die mir aufgrund der Entfernung vorher niemals möglich gewesen wären. Allerdings ist mir absolut bewusst, dass ich selbst verantwortungsvoll dafür sorgen muss, dass der Stoff wahrhaftig erarbeitet ist. Dafür lerne und übe ich in einem kleinen Team von Menschen, die mit mir diese Ausbildung machen. Wir haben feste Arbeitszeiten installiert. Wir haben eine Struktur, einen Plan und geben uns Feedback. So vertiefen wir, was wir uns selbst erarbeitet haben, stützen uns gegenseitig und haben gleichzeitig tolle Übemöglichkeiten. Unsere Schüler haben diese Möglichkeit ebenfalls, sie sind automatisch in einer geschützten Übegruppe, wo sie Gleichgesinnte finden und super arbeiten können. Allerdings erwarte ich von Menschen in den Kursen, dass sie selbstständig in der Lage sind, solche Angebote zu nutzen und sich zu engagieren. Wie wollen wir denn für Klienten Vorbilder sein, wenn wir uns selbst nicht im Griff haben?

Beobachte dein tägliches Verhalten und lass es dir von deinem Hirntöter anzeigen: wie viele Stunden bist du jeden Tag in den Medien unterwegs? Kannst du dich eine längere Zeit gut auf eine schwierige Aufgabe konzentrieren oder switcht du permanent zwischen zig Sachen hin und her? Ist dir das überhaupt schon aufgefallen, was sich da meistens unbemerkt entwickelt hat? Du dir damit jede Lebensfreude langfristig nimmst?

Prüfe dich ehrlich. Und verändere auf der Stelle etwas, wenn du merkst, welche Macht deine technischen Spielzeuge über dich haben. Und dann kannst du problemlos gut Kurse besuchen. Online und als Präsenzkurs. Das Arbeiten mit Menschen lernt man nur durch Arbeiten mit Menschen.

 

Allen einen erkenntnisreichen Freitag.

 

 

Diese friedliche Landschaft hat Steffi im Bild festgehalten. Augenferien für euch von Herzen.

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