Gesucht und gefunden

„Ach, ich bin des Treibens müde!“, klagt der Wanderer im Nachtlied von Goethe. So geht es vielen Menschen derzeit. Sie sind müde nach einem Pandemiejahr. Müde der Nachrichten, müde des Stillstands und der Zunahme von Sorgen und Nöten. Das ist sehr stark spürbar und nicht gut.

Langsam macht sich eine Lethargie breit, die mit Winterschlaf nicht ausreichend beschrieben ist. Es ist kein wohliges in der Höhle liegen und Energie sparen, um im Frühling krass gut durchzustarten. Inzwischen gewöhnen sich die meisten daran, dass alles in den eigenen vier Wänden stattfindet, gut, wenn sie wenigstens gemütlich sind, eine Vollkatastrophe, wenn es kracht und scheppert an allen Ecken und Enden und sich Menschen gegenseitig an Leib und vor allem Seele verletzen.

Jugendliche können nicht pubertieren, sich nicht treffen, was für das Alter einem kleinen Tod gleichkommt, die Kleinen nicht spielen und die Familien sich nach wie vor nicht umarmen. Wir erleben ein Abschneiden von dem, was Menschen zu Menschen macht, gelingende Kommunikation.

Alles wird frei Haus geliefert, nach einem Jahr ist das selbstverständlich geworden und der Einzelhandel, der seit einem Jahr kreativ ums Überleben kämpft, wenn er keine Lebensmittel vertreibt oder eine Apotheke ist (wobei gerade die mit der Internetkonkurrenz kämpfen), überlegt berechtigt, ob die Menschen nach Aufhebung des Lockdowns jemals wieder die Wege in die Geschäfte finden. Wir nehmen uns damit die wichtigste Lebensgrundlage, die Dorfzentren und Städte lebenswert macht – die Begegnung, das Einkaufen, das sich treffen können.

Gastronomie und alles, was Kunst betrifft, ist abgedreht, dabei haben gerade diese beiden Gruppierungen massiv im ersten Lockdown investiert. Wir merken: ohne Begegnungsflächen und geistige Nahrung verblöden wir, brutal gesagt.

Wir gewöhnen uns ab: Bewegung, Begegnung, Kommunikation und damit Kommunion, Anregung, Kunst, Kultur und Begeisterung. Wir gewöhnen uns an: Jogginghosen. Rund um die Uhr Internetberieselung. Alles wird ins Haus geliefert. Nur nicht bewegen und rausgehen. Menschen argwöhnisch begutachten.

Wo bitte ist das Volk der Dichter und Denker abgeblieben? Wo unsere Kraft der Kreativität, des Humors? Wollten nicht im letzten Frühling alle singen für Pflegende und was ist draus geworden? Vergessen wir niemals, dass wir eine großartige Phantasie haben. Dass wir die Kraft haben, uns wirklich zu verbinden und die mit einzubeziehen, die glauben, den Anschluss verloren zu haben. Dass wir kreative Köpfe, schlau und gewitzt, mit Ideen gesegnet sind. Es gibt virtuelle Chöre und Orchester. Klar ist das anders live. Aber wenn live nicht geht, muss Plan B her. Es gibt Bildtelefon. Es gibt mit Sicherheit haufenweise Menschen, die sich gerade sehr langweilen.

Leute – da draußen sind Tausende überforderter Eltern mit ihren Kindern. Wer kann Nachhilfe geben, damit die Kinder nicht noch mit dem Druck gestraft sind, viel nachlernen zu müssen? Wer kann Zeit erübrigen, um mit den Jugendlichen zu diskutieren, damit sie die Hörner abstreifen, herausgefordert sind, denken lernen? Wo sind die Menschen, die gemeinsam auch mit den größeren Kindern was unternehmen? Viele Jugendliche sagen, sie würden gern kochen und backen lernen, aber Eltern haben gerade alles außer Zeit. Wo sind die Omas und Opas, die gerade ihre Familie nicht knuddeln können, aber Freude an einem Fahrradreparaturworkshop oder Apfelküchlebacken haben?

Wie wäre es mit Aushängen im Supermarkt? Seit Monaten ziert nix die Pinnwände. Ladet euch virtuell ein. Erweitert euren Bekanntenkreis um Menschen, die schätzen, was ihr anbieten könnt und nutznießt vom Wissen anderer, die genau das drauf haben, was ihr nicht schafft. Helfen wir uns einfach wieder intensiver gegenseitig, damit jetzt, wo die Sache zäh wird, keiner durch die Maschen fällt. Eine Gesellschaft ist so stabil wie ihr schwächstes Glied. In dem Fall sind das die Kinder, die Senioren, die Alleinstehenden, die einsamen Menschen, die daheim nur noch mit Schmerzen sitzen, weil Einsamkeit im Gehirn als Schmerz verarbeitet wird.

Wer kann was? Wer bietet was an? Wer braucht was? Wer kann was tauschen? Schreibt es auf. Pflastert die Pinnwände. Hängt euer Angebot an Laternenpfosten und zeigt euch. Die, die was brauchen, lernen jetzt, den Mund aufzumachen. Die, die was haben, machen es bekannt. Zeigen wir, was Gemeinschaft für eine gute Kraft ist.

Und nutzt die Zeit, euch für eine gute Ausbildung anzumelden, euch fit zu machen. Zukunft will gestaltet sein. Es wird eine Zeit NACH Lockdowns geben. Bist du bereit dafür? Wer was anbieten kann oder etwas sucht  – hinterlasst einen Kommentar, vielleicht ergeben sich hilfreiche Netzwerke.

Allen ein einfallsreiches Wochenende!

 

Ein lieber Dank an Ursula für die Winterimpression.

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