Dienstags-Nachdenk-Input

 

Was ist ein Menschenleben im Vergleich zur Erdgeschichte. Marc Aurel hat das klar erkannt und weist nicht nur darauf hin, dass wir vergesslich werden, sondern dass uns bewusst sein muss, dass auch wir vergessen sein werden.

Wir haben ein spannendes Projekt gemacht für eine Dame, mit der wir schon einige solcher Projekte machen durften. Sie forscht intensiv seit Jahren über ihre Familie. Damit die Menschen nicht vergessen werden, schreibt sie, soweit sie das nachvollziehen und mit Bildern belegen kann, die Geschichte der Vorfahren auf. Sie befragt Verwandte, die sich noch erinnern können, um für die Menschen, für die die Namen von Vorfahren nur noch Namen sind, die Möglichkeit zu schaffen, dass sie sich ihrer Wurzeln bewusster werden.

Ich mag solche Bücher, sie sind Spiegel der Zeitgeschichte, geben Einblicke in das Leben von Menschen. Die alten Fotos mit den schön gezackten weißen Rändern. Die festliche Kleidung, die damals alle noch händisch entstand und wesentlich aufwändiger war als unsere heute – mit Rüschen, Smog, Fältelungen, Biesen. Die von Hand genähten Knopflöcher. Die sorgfältig frisierten Flechtkunstwerke um den Kopf, die geputzten Schuhe. Daran bewundere ich das Kunsthandwerk der damaligen Menschen und ihren Fleiß in Zeiten ohne Strom, Waschmaschine und Dampfbügeleisen. Ich vermag nicht einmal ansatzweise zu ermessen, was sie geleistet haben. Dazwischen die Fotos, die Menschen zeigen, die im unersättlichen Maul des Krieges geblieben sind, Menschen, die Lücken in ihren Familien hinterlassen haben, Söhne, Partner, Väter waren. Die Geschichten erzählen Enkeln und Urenkeln etwas von ihren unbekannten Vorfahren, von ihren Träumen, ihrem Leben, ihren Sorgen.

Wer schreibt, der bleibt, heißt es. Viel an tief bewegender Literatur ist in Notzeiten entstanden und hat auf kleinen Zetteln überlebt, auf winzigen Tontäfelchen, auf Schriftrollen. Diese Zeugnisse sind Fenster zur Vergangenheit. Sie eröffnen uns die Möglichkeit, weit zurückzuschauen und zu erfahren, dass die Menschen zu allen Zeiten ähnliche Gedanken hatten. Sie wünschten sich Glück, Familie, eine zufriedenstellende Arbeit, Freiheit, die Erlaubnis, zu sein, wer sie sind, zu sagen, was sie denken und nicht für eine bestimmte Art des Denkens, für eine Religion oder eine Hautfarbe ermordet zu werden.

Machen wir uns klar, dass die Freiheit ein unfassbar hohes Gut des Menschen ist. Und bedenken wir stets, dass unsere Freiheit dort endet, wo sie die Freiheit des anderen berührt.

Allen einen tatkräftigen Dienstag mit einem Blumengruß aus dem Garten.

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