Die einzig hilfreiche Hand ist …

Erwartungen, das hat bereits Seneca festgestellt, sind ein mächtiges Hindernis. „Morgen, morgen, nur nicht heute“ nennt es der Volksmund.

Erwartungen haben nur ein Resultat: Warten. Das Warten auf Godot dürfte aussichtsreicher sein. Lassen wir Erwartungen sofort los, denn sie spiegeln unsere eigenen egoistischen Wünsche und belegen (oft unausgesprochene!) Forderungen an unser Umfeld. Marshall Rosenberg hat treffend festgestellt, dass Menschen sehr ähnliche Bedürfnisse haben und es sinnig ist, sie als Bitte zu formulieren, um dem Gesprächspartner die Möglichkeit zu geben, einer Bitte nachzukommen, ihm aber auch das Recht einzuräumen, dies nicht zu tun. Erwartungen sind keine Bitten, sondern Befehle ohne Chance auf eigene Meinung. Sie sind übergriffig und unangemessen.

Wenn wir an das Morgen irgendwelche Wünsche, Bitten, Vorstellungen haben, sind wir aufgefordert, heute etwas dafür zu tun, dass das, was wir erbitten oder erstreben, auch entstehen, wachsen, werden kann. Es liegt an uns selbst, die Weichen für unser Leben zu stellen, nicht an den anderen.

Erwartungen zerstören vieles. Sie zeugen von mangelndem Vertrauen, Lebensangst und Unsicherheit desjenigen, der etwas erwartet. Sie bilden ein spinnennetzartiges Machtsystem, das andere klein macht. Jemand, der dauernd etwas erwartet, wird irgendwann darauf zurückgeworfen, dass die einzige hilfreiche Hand im Leben am Ende des eigenen Armes ist. Lassen wir also fürs neue Jahr alle Erwartungen los.

Wie wäre es mit einer freundlichen Einladung an uns selbst, unsere Ziele für 2021 zu formulieren und uns Gedanken dazu zu machen, wie wir sie erreichen können? Das sind im positiven Sinne Erwartungen, denn sie richten sich als Ansporn an uns selbst, zwingen aber keine anderen Menschen, etwas für uns zu tun.

Wenn jemand Hilfe braucht, kann er einfach sagen, was er benötigt. Alle Menschen brauchen ständig Hilfe, das ist nichts, wofür sich jemand schämen muss. Jeder kann etwas und vieles nicht. Steigen wir also erstmal vom hohen Ross herunter und machen uns bewusst: das Meiste können wir nicht. Wir dürfen darum bitten, dass man uns hilft und bieten dafür Hilfe in den Bereichen, die wir beherrschen. Alte, kranke und behinderte Menschen brauchen viel Unterstützung. Sie gleichen das aus, indem sie dem Helfenden sagen, was sie benötigen. Da kommt viel für die Helfer zurück, wenn die helfende Person die Hilfe auch dankend annehmen kann. Wir kommen hilflos in die Welt und gehen oft hilflos. Wir lernen also am Ende des Lebens noch einmal ganz bewusst und mit Sicherheit unter großen Schwierigkeiten, wenn wir sehr selbstständig waren, Erwartungen loszulassen und Hilfe anzunehmen.

Wer allerdings permanent kommandiert, erwartet und meint, nur die eigenen Ansichten seien der Nabel der Welt, muss damit rechnen, dass Erwartungen nicht erfüllt, Beziehungen schlechter bis abgebrochen werden und damit ein oft unlösbarer ethisch-moralischer Konflikt entstehen kann für den, an den die Erwartungen gerichtet sind. So entstehen ungute Situationen für alle.

Jeder von uns ist auf Hilfe angewiesen. Jeder von uns kann Hilfe geben, und wenn sie nur in einem freundlichen Lächeln besteht, das kann den Tag schön machen. Keiner überlebt alleine. Doch stets macht der Ton die Musik, basiert die beste Hilfe auf Liebe und die entsteht nicht, weil jemand etwas erwartet, das tötet sie, sondern sie entsteht, wenn wir tief ins Vertrauen hineingehen können.

Lassen wir unsere Erwartungen los, denn sie sind letztlich mit die schlimmsten Fesseln, die wir uns selbst anlegen können. Herzliche Einladung an alle, die gern etwas erwarten: Erwarte etwas. Von dir selbst. Und wenn du Hilfe brauchst, frage freundlich, bitte darum. Schau, was geschieht.

Allen einen freundlichen, hilfreichen und vielleicht auch erkenntnisreichen Marstag, den letzten, den wir in diesem Jahr haben werden. Blicken wir freudig auf die Morgen, denn sie sind eine Einladung, aus diesem einen Tag, den wir gerade erleben dürfen, das Beste zu machen, was immer das für jeden von uns an diesem Tag auch sein mag und kann.

Steffis Foto zeigt, dass viele Wege zum Licht führen können. Dankeschön dafür!

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