Monthly Archives: April 2022

Warum ich mich freuen darf

Freude ist die Bestimmung des Lebens in den Augen von Leo Tolstoi. Freude ist essentiell, denn sie ermöglicht es uns, dass wir dieses  Gefühl sehr schätzen und die Hoffnung, es wieder zu erleben, auch viel Antrieb geben kann, wenn es gerade nicht ganz rund läuft.

Kinder freuen sich viel häufiger am Tag als Erwachsene. Dafür gibt es keinen Grund, dass wir im Erwachsenenalter so wenig Freude empfinden. Das liegt daran, dass uns das Staunen fehlt. Für ein Kind ist vieles zum ersten Mal, wir hatten schon Frühlinge. Aber mal ehrlich – ist das nicht in jedem Jahr ein riesiges Wunder, was im Frühling passiert? Wir erleben das vielleicht 80 Mal im Leben, wie können wir da ein Jahr vergeuden und nicht jede Blüte, jede Tulpe, jedes Veilchen, den Bärlauch, die Schlüsselblumen und die zarten neuen Blätter feiern? Die Natur zündet ein Feuerwerk für uns an Farben, Formen und Wachstum und wir laufen daran vorbei?

Feiern wir, was gerade draußen geschieht. Begrüßen wir die längeren Zeiten der Helligkeit, die uns Auftrieb geben können, die irgendwann zunehmende Wärme der Sonnenstrahlen und danken wir dafür.

Jemand fragte mich, wie ich mich denn freuen kann, wenn an so vielen Orten auf der Welt unsagbares Leid herrscht. Im Buddhismus gibt es die Übung des Tonglen. Sie basiert auf der Erkenntnis, dass in jedem Leben Leid geschieht, wir also Mitgefühl empfinden können. Und dass es einfach so ist, dass irgendwo Leid ist und woanders nicht. Dass wir aber bei allem, was wir an Gutem, an Freude, an Schönem erleben, innerlich danken und bitten können: Möge die Schönheit, die meine Augen gerade sehen, auf irgendeine Weise auch zu den Menschen gelangen, die gerade im Chaos sind. Mögen andere Menschen auch zu essen, ein Dach über dem Kopf, eine ruhige Nacht haben. – So habe ich die Menschen im Herzen, denen es nicht gut geht, mir ist bewusst, dass es ein Geschenk ist, wenn es mir gerade gut geht und ich erkenne an, dass es nicht immer in meiner Macht liegt, dass es jemandem gut oder schlecht geht, mein Mitgefühl aber überall hinkommen kann. Pema Chödrön hat über Tonglen ein Buch geschrieben und wer sich für diese Meditation interessiert, findet auf youtube diverse Anleitungen mit Pema Chödrön zur Technik des Tonglen.

Ich glaube, es war Karl Valentin, der gesagt haben soll: Ich freue mich, wenn es regnet, denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.

Allen einen guten Marstag mit Kraft für das, was heute anstehen mag.

 

Stephanie war in Kopenhagen und schickt dieses sensationelle Foto der Farben und damit der Lebensfreude. Danke dafür!

Freude als Aufgabe

Aufgabe des Lebens, seine Bestimmung ist Freude. Freue dich über den Himmel, über die Sonne, übe die Sterne, über Gras und Bäume, über die Tiere und die Menschen.

Leo Tolstoi, 1828-1910

Über den zarten Regenbogen habe ich mich gefreut. Zwei Tage hintereinander zur gleichen Zeit. Die Freude währte kurz – direkt danach begann es am Freitag mit den dicksten Flocken, die ich je gesehen habe, zu schneien.

Wochenend-Dankbarkeit

Ein schönes Wochenende mit Onlinekursen. Am Samstag haben sich die angehenden Cardeatherapeuten mit den zwölf Sinnen des Menschen befasst. Ein spannender Austausch über unseren Tastsinn, die Erkenntnis, dass wir 0,038 Grad Abweichung im Ellbogengelenk bemerken können (Eigenbewegungssinn),wie aus einem akustischen Input (Hörsinn) das Verständnis von Worten entsteht (Wortsinn) und vieles mehr. Ein erkenntnisreicher Tag!

Am Sonntag haben wir uns am letzten Rogers-Kurstag mit der Frage der Resilienz beschäftigt, was Menschen stärkt gegen die Alltagsherausforderungen und wir haben die schöne Übung der „Tafelrunde“ gemacht – welche elf Menschen/Wesen (wie Märchenfiguren, Sagengestalten etc.) würdest du an eine Tafel setzen, um dich mit ihnen bei einem Abendessen auszutauschen? Eine wunderschöne Übung, die uns viel sagt darüber, was uns gerade bewegt, aber auch, wer uns eine Inspirationsquelle und Anregung im Leben sein kann. Ein schöner Abschluss des Kurses.

Nach den Osterferien geht es dann mit dem Aufstellungskurs und dem nächsten Empowermenttag weiter mit dem superspannenden Thema Flow.

Hinter den Kulissen startet die Arbeit an der nächsten Holunderelfe, das Sommerheft wird jetzt bearbeitet und das ist total toll, da könnt ihr euch schon richtig vorfreuen. Jede Ausgabe ist ja Lesefreude pur und Ferien für die Seele zum Auftanken. Das ist wichtig, wenn im Außen viel los ist. Die Sommerausgabe lässt sich dann gemütlich im Garten lesen, während bei uns noch ordentliche Schneeberge im Vorgarten die Tulpen unter sich dick begraben haben. Das war nochmal eine dicke Überraschung am Samstagmorgen zum Schippen, leider wahr, kein verspäteter Aprilscherz.

Der Schwerpunkt unserer Arbeit liegt zum Teil auf dem Nautilusprojekt, das Stück für Stück wächst. Im Vorfeld braucht das Erarbeiten des Wissens Jahre, eher Jahrzehnte. Jetzt wird das alles in Skripten gefasst, mit denen die Kurseinheiten gefilmt werden. 13 Kurstage werden live online sein, 52 Lektionen kommen als Videos im ersten Kursjahr. Das Logo für die neue Ausbildung ist fertig und wird nicht nur jedes Skript, sondern auch die Filme zieren. Step by step.

Allen einen guten Start in die Karwoche 2022.

 

Danke an Annemarie für das Foto der Containerriesen im Hamburger Hafen.

Wege zur Erkenntnis

Die edelste Art Erkenntnis zu gewinnen ist die durch Nachdenken und Überlegung.

Die einfachste Art ist die durch Nachahmung und die bitterste Art ist die durch Erfahrung.

Buddha

Der Hamburger Michel ist ein Besuchermagnet. Danke an Annemarie für das Foto!

Fragen, Fragen, Fragen

Marielee Goldbergs Aussage aus ihrem Fragenbuch deckt sich mit Einsteins Einsicht, dass man Probleme nie auf der Ebene löst, auf der sie entstanden sind. Welche Macht Fragen haben, sehen wir überall. Die richtige Frage im richtigen Moment gestellt hebt die Welt aus den Angeln.

Erzogen sind wir gewiss nicht zum Fragen, sondern zum Stillstein und Akzeptieren. Der Ansatz der radikalen Akzeptanz ist durchaus in der Therapie bedeutsam und kann zu tiefem Frieden führen, die Kunst der klugen Frage hat ebenso ihre Daseinsberechtigung.

Wir leben die Antworten auf die Fragen, die wir uns stellen. Wenn das Leben nicht stimmig ist, könnte es sein, dass wir uns die falschen oder gar keine Fragen gestellt haben, das Gehirn nimmt dann die xte Wiederholung des bekannten Dramas als Vorlage und führt es neu wieder auf. So kommt es, dass wir oft sagen: „Wieso passiert das immer mir, dass …“ und dann kommt „falscher Partner“, „mieser Chef“, „falsche Wohnung“, was immer. Verändere die Frage.

An diesem Wochenende werden wir uns mit den 12 Sinnen des Menschen befassen in der Cardea-Ausbildung und unseren Herzenskurs über die Gesprächspsychotherapie nach Carl Rogers beenden. Der letzte Kurstag ist oft sehr intensiv von seinen Inhalten und Übungen her, das ist total schön.

Nach Ostern findet dann unser verlegtes Aufstellungswochenende statt und unser dritter Empowermenttag startet zum Thema „Flow“. Wie können wir in den Zustand begeisterten Arbeitens kommen? Was braucht es für mehr Flow und warum kennt unsere Zeit so wenig dieser guten Momente? Weil wir sie uns selbst verbauen durch die Art, unseren Alltag zu gestalten. Unsere Dopaminsucht, getriggert durch unseren Medienkonsum, steht dem massiv im Weg.

Welche Fragen könnten dein Wochenende zu einem Wochenende werden lassen, an dem du altes Ungutes verwandelst in neues Kraftvolles?

Ein wunderschönes Wochenende allen.

 

Ein anderer Blick auf die Hamburger Elbphilharmonie. Dreimal hab ich mich vertippt und Elf geschrieben. Was das bedeuten mag? Danke an Anne für die Fotos heute!

Speicherstadt 2

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Ringelnatz hatte seine Erfahrung mit Hamburg. Ich war noch nie da und freue mich über Fotos von dort. Michel, Miniaturmuseum, Elphphilharmonie, König der Löwen, Fischmarkt, Hochwasser und Speicherstadt – das sind Schlagworte, die in meinem Kopf herumturnen und nichts mit der Stadt zu tun haben.

So ist es mit allem, was ich nicht wirklich kenne: Ich habe Ideen darüber. Sie entsprechen nicht den Tatsachen und solange ich nicht mehrere Monde in den Mokassins des anderen gelaufen bin, wie es ein Sprichwort sagt, weiß ich auch nichts über das Leben eines anderen. Weshalb also stünde es mir zu, etwas zu bewerten außer mich selbst? Und selbst da vergreifen wir uns gern im Ton, sind entweder zu freundlich oder zu kritisierend mit uns selbst.

Gestern konnte ich einen hochinteressanten Vortrag hören über das Herz, das mich seit meiner Kindheit fasziniert. Es regt mich immer auf, wenn es als Pumpe bezeichnet wird. Das mag eine seiner biologischen Funktionen sein, doch ist für mich das Herz das komplexeste Organ, das ich mir im Körper neben dem Gehirn vorstellen kann. Es hat sein eigenes Nervensystem, ist intuitiv, kann sich mit dem Kopfhirn verbinden und ein unglaubliches elektromagnetisches Feld erschaffen und wirken. Mit dem Herzen können wir Zukunft wahrnehmen und es schüttet Hormone aus, es wirkt also auch in diesen wesentlichen Körperkreislauf mit hinein.

Vieles, was mit meiner Gesundheit, meinem Wohlbefinden und der Art, wie ich mich in die Welt stelle, hat direkt mit dem Herzen zu tun. Bezeichnend, wenn wir so viele Herzerkrankungen haben, Verstimmungen und Streit im Außen – all das hat mit unseren Herzen zu tun. Eine gute Herzpflege besteht neben den Erfordernissen von Schlaf, Ernährung und genug Wasser im Körper in der Art, wie ich denke und lebe. Lebe ich aus der Liebe heraus oder triggert mich nur noch Angst?

Niemand kann vorhersagen, wie die Zukunft werden wird. Wenn das Land im Außen nun zu einer „Normalität“ zurückkehrt, gehen wir an der Realität vorbei. Wir können niemals mehr zurück und das wäre auch nicht gut. Dann hätten wir aus zwei Jahren mit Pandemie und vielem mehr nichts gelernt. Dass wir unsicher sind und nicht wissen, wie wir jetzt vorgehen sollen, halte ich für angemessen. Nicht aber, dass wir unser Herz schädigen durch Hass, durch Angst, durch Streit und Zwist. Demut heißt dienen mit oder durch Mut. Beides entsteht im Herzen, das Dienen und der Mut. Das ist ein guter Anfang in eine veränderte Welt hinein, die sich noch viel mehr und schneller weiter verändern wird.

 

Annemarie hat die Speicherstadt in Hamburg am Tag und in der Nacht besucht, weil sie so fasziniert war. Danke für deine  Fotos! Schaut mal, wie anders die Welt wirkt am Tag und in der Nacht. Auch wir haben viele Seiten. Eine, die wir der Welt zeigen und eine eher verborgene. Welche bestimmt dich?

Speicherstadt 1

Hamburg

Das Hafenleid — die Alsterdiamanten —

Das sind für mich so fertige Begriffe,

Da fallen Zahlen um die großen Schiffe,

Wenn ich begönnert aber missverstanden

Zwischen den Reedern sitze an der Bar,

Die scheinbar nur um Whiskysoda knobeln.

Indessen denk ich immer vor den nobeln

Kaufherren an mein schlechtgekämmtes Haar.

Dann die, die aus den Schiffen sich verstreuen:

Unangenehme, plumpe Wunderlinge,

Sie schenken bluterlebte Wunderdinge

Und wollen nichts, als sich mit ändern freuen.

Wie sie das erste beste runter gießen,

So gierig wie die weißen Hafenraben — — —

Muss man den Schlüssel selbst erschmiedet haben,

Um ihre seltnen Märchen zu erschließen.

Und alles kenn‘ ich: Backbord, Luv und Lee,

Das »Rundstück warm«, die Segel und die Lichter,

Die hellen abgesalzenen Gesichter.

Fuhr ich vielleicht umsonst sechs Jahr zur See!

Hier bunte Ratsherrn flatternd um die Masten,

Dort steife Flaggen, die zur Börse hasten.

Und steife Grogs, Qualm, Tabak, Nebeldunst.

Du fragst nach Kunst? ach Hummel, Hummel — Kunst!

Nachts klang zwölf Glasen — (nein, vielleicht zwölf Uhr) —

Wie aus Westindien — dumpfes Dampfertuten,

Ich träumte (aber dieses lüg ich nur)

Ich träumte eben von der Tante Bur, —

Kann es wohl sein, dass Augenwimpern bluten?

Hier trink ich morgens Bier auf nüchtern Magen

Und häufe Wurst auf grobes, schwarzes Brot,

Und fühle mich so stark in jeder Not,

Ich würde mich hier schämen, je zu klagen.

Ringelnatz, Reisebriefe eines Artisten

www = Worte weise wählen

Morgenstern, der im Kriegsjahr 1914 verstarb, schrieb diesen Text und hinterfragt ein Phänomen, das sich explosionsartig vermehr hat – die Franken nennen das „Gschmarr“, Geblubber.

Wie kostbar ist ein Gespräch zwischen Menschen, wenn vielleicht mit wenigen Worten und vielen Pausen tiefe Erkenntnisse möglich sind. Wenn der Raum entsteht, ein Wort, einen Satz schweben zu lassen, ihn einzuatmen, ihn vor Herz, Auge, Ohr und Gehirn zu stellen, sacken zu lassen und seine Wahrheit aufsteigen zu spüren wie Rauch über der Salbeischale.

Dann ist ein Gespräch Medizin, sie verhilft dem Gesprächspartner (der dann kein Gegenüber ist), bei sich anzukommen und sich zu entdecken. Dann ist es ein Geschenk der Ewigkeit. Dann kann ein Wort eine Mauer zum Einsturz bringen, der Leuchtturm in der rettenden Ferne werden, das Hoffnungslicht, das auf die andere Seite holt, der Wende-Punkt, der alles verändert hat. Ein Satz, in Weisheit und Liebe verschenkt, kann das Leben eines Menschen komplett auf das wesentliche Gleis bringen.

Was es dazu braucht? Stille. Bereitschaft, sich hinzugeben. Schweigen können. Nehmen und Geben ohne Hintergedanken. Bilder entstehen und vergehen lassen, bis sie stimmig werden.

Worte können töten. Worte können zum Leben erwecken. Wähle deine Worte heute weise.

 

Blumen brauchen keine Worte, sie wirken in jedem Fall. Das war 2017 im Garten im Mai.

Nichtigkeiten

Bedenke, Freund, was wir zusammen sprachen.

War’s wert, dass wir den Bann des Schweigens brachen,

um solche Nichtigkeiten auszutauschen?

So schwätzen wohl zwei Vögel miteinander,

derweil in ablässigem Gewander

des Stromes strenge Wogen meerwärts rauschen.

Erwacht in dir nicht ein Gefühl der Leere,

erwägst du, wie so auftrat Jahre, Jahre

nichts aus Geschwätz aus dir sich und dem andern,

indessen nach der Gottheit  Schoß und Meere

der Geistesweisheit sternenspiegelklare

Gewässer ruhlos und gewaltig wandern?

Christian Morgenstern, 1914

Worum geht es dir wirklich?

Milde vom Herzen lernen, um die Welt nicht zu verdammen mit ihrem Schelten – das ist ein bewegender Gedanke. Den kann ich in diesen Tagen oft brauchen, weil mich menschliches Verhalten manchmal, vorsichtig formuliert, erstaunt. Da denke ich oft, dass der liebe Gott wahrhaft einen großen Tiergarten zum Üben bereitgestellt hat mit täglichem Trainingsmaterial der zu lernenden Milde.

Milde und Güte sind zwei Worte, die wir kaum mehr hören, dabei sind beide Medizin. Wie Seelenbalsam legen sich die Worte ans Herz, hüllen es weich ein und schotten auch ein wenig ab gegen den kalten Wind, der außen pfeift.

Bist du mild und gütig? Dir gegenüber auch? Manchmal können wir im Außen anders agieren als uns selbst gegenüber. Auf der einen Seite gehen wir gern sehr lax mit uns um, auf der anderen Seite sind wir wahre Folterknechte. Da wäre eine gute Mitte brauchbar.

Um Milde und Güte ging es gestern auch in einem Gespräch (Technik sei Dank) mit einem lieben Menschen. Der Arbeitsberg – enorm. Die Fülle an Aufgaben nicht bewältigbar. Die klare Frage: Was ist die eine einzige Sache, die du am liebsten ausschließlich machen willst? Klare Antwort. Jetzt haben 100 Milliarden Nervenzellen den Auftrag, die Frage zu klären, wie es gelingt, mehr Freude und Energie in diesen Bereich zu stecken, damit er ausreicht, um die Not-Wendigkeiten des Lebens zu tragen.

Fokus ist in unserem zerschredderten Lebensalltag ein zentraler Begriff. Nur wer dranbleiben kann an dem, was er wahrhaftig will und was sein Lebensauftrag ist. Der Rest ist Zerstreuungsversuch von außen, mit dem wir uns selbst als Erfolgsmodell abschaffen. Konzentration ist eine echte Herausforderung. Sie basiert auf Klarheit, Konsequenz, Milde und Güte (bei der Masse unserer Fails, die ich gern Wachstumsschritte nenne) sich selbst gegenüber, sonst schaffen wir das nicht mehr. Falls wir glauben, dass da Willenskraft genüge, irrt. Der Wille ist ein Zwerg, der sich bei den meisten bereits nach dem Frühstück aufgebraucht und zur Ruhe gelegt hat. Die Power guter Gewohnheiten hingegen kann ein Riese sein, dessen stabiles Gerüst den Alltag stützt und uns hilft, auf unserer Spur zu bleiben.

Klar wurde Rotkäppchen nur zu Rotkäppchen, weil sie dem Wolf gelauscht hat. Aber das Internet ist nicht der Entwicklungswolf, der uns auf die falsche Fährte zieht, um uns zu der Person zu machen, die wir sind. Der Wolf war kein Dopamindrogenlabor, sondern ein krasses Lernfeld und ein steiniger Weg. Das ist der Unterschied zwischen dem Internet, das fängt und hilflos macht und dem Wolf, der Rotkäppchen herausgefordert hat. Nicht verwechseln. Und fein mild und gütig bleiben, damit wir nicht hart-herzig werden, das braucht gerade niemand.

Allen einen wunderbar milden Tag mit Gütemomenten vom Feinsten.

 

Andrea entführt uns mit diesem Foto in die Wunder der Natur. Danke!

Milde vom Herzen lernen

O wie gerne lern ich Milde,

liebes Herz, von deinem Munde,

folge dir in stillem Bunde

in geläuterte Gefilde!

Und wir schaun zurück zusammen

auf die Welt, samt ihrem Schelten,

und anstatt sie zu verdammen

lassen wir sie gehen und gelten.

Christian Morgenstern, 1914

Am Haus Duldeck in Dornach fanden wir dieses Gedicht auf der Tafel vor dem Haus aufgeschrieben. Ich liebe es – hingehen und gucken, was draufsteht und die Worte mit in den Tag nehmen. Das hat mir so gut gefallen, dass ich daraus eine fast tägliche Übung für die social media gemacht habe. Vom Regen nicht verwischbar.

Kennen und Können

Die Menge des Nichtwissens in unserer Zeit ist riesig. Die Zeiten der Universalgenies sind seit Goethe vorbei. Das macht die Frage so spannend, ob es überhaupt noch darauf ankommt, irgendwelches Wissen zu vermitteln in der Schule, oder ob es nicht sinnvoller ist zu erlernen, wie man Wissen selbstständig erwerben kann, im Idealfall mit dem Augenmerk darauf, was einen Menschen denn von sich aus wahrhaftig interessiert und das Wissen deshalb auch leicht aufnehmen kann.

Was sind Fertigkeiten, die wir lernen sollten? Ich denke, was Schule vermitteln sollte, ist Neugier auf alles. Ein Kind ist nicht schlecht in Mathe oder unbegabt für Sprachen. Es ist grundsätzlich mal an fast allem interessiert, solange man es das selbst erforschen lässt. Selbst forschen, herausfinden und unterwegs lernen, wie man sich hilft, halte ich für wichtig. Viel mit den Händen machen ist auch kein Schaden – warum nicht nähen, Getreide säen, ein Fahrrad reparieren lernen und dabei etwas über die Herstellung von Stoffen vom Altertum bis heute, die Aussaat und Getreidearten sowie moderne Landwirtschaft und Technik lernen? Am besten von Menschen, die das beruflich tun, weil sie es einfach besser wissen, weil täglich tun?

Musik und Geschichten sind lebenswichtig, was bedeutet – ein Instrument erlernen, vielleicht eines selbst bauen, Geschichten erzählt bekommen, weil wir selbst werden, was uns unsere Kopfgeschichten über uns erzählen. Uns bewegen, weil wir sonst Schreibtischopfer werden, die nicht viel be-griffen haben. Gemeinschaft erfahren, indem Junge Alte besuchen, sich gegenseitig helfen. Warum nicht Senioren für den Schulgemüsegarten fragen, die Küche und wer gerade einen schlechten Tag hat, hilft beim Gemüseschnippeln, Tischdecken oder Servietten falten?

Wenn Sozialkompetenz angelegt ist, lernt sich Medienkompetenz schnell und dann können Desks mit Aufgabenangeboten irgendwo stehen – der Schüler ruft ab, was er machen will und weiß ab einem gewissen Alter, dass er bestimmte Dinge bis zu einem bestimmten Termin erledigen muss, damit er einen Nachweis bekommt. Es gibt Gesprächspartner, die Auskunft zu allen möglichen Themen geben. Wissenschaftler, die ansprechbar sind für die jungen Menschen und ihr Labor aufmachen, Praktika anbieten, Firmen, die erkennen, dass guter Nachwuchs eine Frage dessen ist, dass junge Menschen schauen können, was eigentlich dort gemacht wird und das spannend und vor allem wichtig für das Überleben der Menschheit ist. Das können am besten Menschen erklären, die das jeden Tag tun und lieben, was sie tun. Die Sinn in ihrer Arbeit leben.

Schule soll auf das Leben vorbereiten. Was ist das Leben? Kein geplanter getakteter Alltag, sondern immer mehr Chaos und Unsicherheit. Leben ist Surfen von Wellen, von denen keine so ist wie die vorhergehende. Leben ist Flexibilität, Neugier, Umgang mit Frustration und Begeisterung gleichermaßen, ist die Suche und das Finden, das Balancieren zwischen Krankheit und Gesundheit. Die eigentliche Schule ist das Leben selbst.

Förderung ist die Kunst, zwischen Fordern und Überfordern einen guten Weg zu finden. Potentiale zu erkennen, wo vielleicht noch nicht viel aus dem Ackerboden schaut. Es bedeutet, Träume zu ermöglichen, anstatt sie mit den Worten „das ist doch Quatsch“ zu zertrümmern. Wer weiß, ob in manchen Träumen nicht die Möglichkeiten der Lösung von Zukunftsfragen steckt. Förderung bedeutet anzuerkennen, dass wir keine normierten Nikoläuse sind, alle gleich in Geschmack, Textur und Aussehen, sondern dass die Vielfalt Chance ist. Vieles ist oft weder gut noch schlecht, sondern unser Umgang damit macht es zu positiven oder negativen Einflüssen auf das Leben. Die Fertigkeit des Unterscheidens ist Aufgabe der Bildung. Natürlich gibt es Menschen, die sind intellektueller als andere, theoretisch interessierter, andere sind Praktiker durch und durch – das ist gut so. Werden wir diesen Fähigkeiten gerecht? Im Moment nicht mehr.

Wer in der Zukunft Vielfalt im Können erleben will, darf jetzt Vielfalt im Kennenlernen fördern. Kreativität entsteht nicht im Normierungstopf, gespeist vom Schulkücheneinheitsbrei.

 

Vielfalt im Hofgartenbeet. Danke an Annemarie für das Foto!

Wissensverhältnis

Sei dir bewusst, was du weißt. Was du hingegen nicht weißt, das gib zu. Das ist das richtige Verhältnis zum Wissen.

Konfuzius, 551–470 v. Chr.

Blumen aus dem Garten VOR dem Schnee.

Wow!

Manchmal rummst es und das Leben bremst einen aus. Freitagmorgen. Sonst Startschuss in den arbeitsmäßig umfangreichsten Wochentag, weil frühs Abfahrt zu Vater und Bruder, Einkaufen, Putzen, Haushalt machen, helfen und dann zurück Kurse fürs Wochenende vorbereiten. Diesen Freitag war es anders. Die Knochen bleischwer. Stimme – weg. Also PCR-Termin vereinbart, alle Termine abgesagt, Wochenendkurs mit Aufstellungen verlegt und ab in die freiwillige Quarantäne, denn das Ergebnis des PCR-Tests kann dauern. Tage mit für mich sehr hohem Fieber und der Unmöglichkeit, irgendetwas Sinnvolles zu tun. Mir fiel ein Satz unseres Kinderarztes ein: „Ich bin immer nur am Wochenende krank, wegen der Patienten“. In Zeiten von Corona funzt das allerdings nicht, da ist man notgedrungen in Quarantäne und so finden alle Termine online statt, bis alles in sicheren Tüchern für mich und die Menschen, die zu mir kommen, ist.

Wären es freie Tage gewesen, hätte ich sie zum Lesen und Nachdenken benutzt, so war das nicht möglich. Dennoch ist das Gehirn ja enorm leistungsfähig und brachte eine Menge an Fragen vor, die sich um den Begriff der sozialen Beschleunigung drehten, wie das der Soziologe Hartmut Rosa nennt (Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne). Wir vergleichen permanent und haben Angst, was zu verpassen. Deshalb gibt es keine Pause mehr und dass mir das mein Körper auch sagen wollte – hey, stopp mal kurz, ein Wochenende muss drin sein. Eine Erkenntnis des Wochenendes: Mein Schlafzimmer hat ein geniales Morgenlicht Anfang April, unfassbar großartig! Na gut, der Schnee spiegelte das Licht fein, drinnen zwischen Wärmflaschen und Fieberschüben ist mir das mit der Kälte draußen nicht aufgefallen.

Zudem erinnerte ich mich die Frage, die mein Denken derzeit fokussiert: Was ist die eine Sache, die ich am meisten liebe? Der ich mein Leben widme? Das ist in jedem Fall meine Arbeit. Doch nicht erst seit der Pandemie weiß ich, dass ich diese Arbeit in der Schule (nicht in der Praxis, das ist prima, wie es ist) in ein neues Gewand stecken möchte. Und ich habe etwas erkannt, was mich sehr bewegt hat: Alles, was wir in der Cardea-Therapie seit einem Jahrzehnt unterrichten und was ich seit Monaten auf den neuesten Stand bringe, damit wir im September mit neuen ergänzten und vertieften Inhalten starten können, ist meine Antwort auf die Fragen der Zeit. Cardea verbindet Philosophie, Werte, Menschenbild, Achtsamkeit, tiefste Wertschätzung, einfache Techniken, das Leben zu bewältigen und Klarheit. Cardea (lat.  cardo „Türangel“, „Scharnier“) war in Rom die Göttin der Schwellen, der Türscharniere und der Türgriffe. Mit Forculus (Gott der Türpfosten) und Limentinus (der Türschwelle), gehört sie zu den Sondergöttern. Bei Ovid heißt es in den Fasti: „Cardea (ursprünglich Carne) war eine Nymphe im Hain des Helernus am Tiber. Bat ein Verehrer um ein Stelldichein, erklärte sie ihm, dass sie sich unter offenem Himmel schäme und schlug einen Ort im Gebüsch oder einer Höhle vor. Eilte der Verehrer dorthin, entwischte sie. Leider gelang ihr das nicht mit Janus, dem Doppelköpfigen, der ihr zum Dank die Macht über Türscharniere und -griffe gab. Ihre Macht ist es, zu öffnen, was geschlossen ist; und zu schließen, was geöffnet ist.“

Unser Nautilusprojekt stellt Cardea in einen viel größeren Rahmen, weil es künftige Coaches und Menschen, die am Auspacken ihrer Potentialwundertüten interessiert sind, sowie die angehenden Therapeut:innen ein Stück weit auf eine gemeinsame Reise mitnimmt für die Grundlagen, danach geht jede Gruppe ihren eigenen Weg weiter.

Wenn also das Wochenende mit der Lahmlegung im Außen etwas gebracht hat, dann diese Erkenntnis: Was ich seit 13 Jahren in der Praxis und seit über 10 Jahren mit Cardea mache, ist ein Handlungsleitfaden, wie Leben gelingen kann. Für Menschen, die in ihrer Kraft stehen und für die, die aus dem Gleichgewicht sind. Und damit ist es ein großartiges Projekt! Ich bin so dankbar, dass ich das Wissen weitergeben darf und freue mich auf viele Menschen, die dieses Angebot annehmen. Die Listen sind offen, wer sich interessiert – gern melden.

Was ich mache, trägt absolut dazu bei, Menschen auf tiefster Herzensebene zu dienen. Das ist eine Erkenntnis, die mich die nächsten krass arbeitsreichen Monate für das Nautilusprojekt als Kraftquelle begleiten wird.

 

Wichtig: Der VHS-Vortrag am Mittwoch muss natürlich verlegt werden. Vermutlich wird er im Mai nachgeholt, bitte nicht am Mittwoch nach Kitzingen kommen!! Und durch die Verlegung des Aufstellungstages habt ihr jetzt am 24. April die Chance, um 11 und um 14 Uhr eine Familien- oder Teamaufstellung zu machen! Wer mit dabei sein mag – gern melden bei mir.

Allen eine gute Woche.