Monthly Archives: August 2020

Freitags-Nachdenk-Input

Die Natur beruhigt das Gemüt, stellte Beethoven fest. Er musste es wissen, ich vermute, er war ein Mensch, dem starke Gefühlsregungen nicht fremd waren. Wenn wir das tun, fahren wir innerlich runter und springen aus der to do- in die to be- oder wenigstens not to do-Liste.

Was muss denn wahrhaft sein? Atmen, Trinken, Schlafen. Der Rest ist nicht wirklich relevant. Natürlich haben wir jede Menge Vorstellungen davon, was wir unbedingt brauchen. Wenn es hart auf hart kommt, brauchen wir sehr wenig. Das Dach über dem Kopf ist wichtig, nicht aber, wie es gestaltet ist (das wäre dann erst im zweiten Schritt wichtig, wenn es ums Überleben geht, zählen nur das reine Dach und die Mauern).

In diesen Tagen räumen wir viel mit Klienten auf. Zahlreiche Menschen haben sich jetzt in ihren Ferien Zeit genommen, um ihr Leben anzuschauen unter dem Aspekt: trägt mich das in eine gute, gesunde Zukunft oder ist es Zeit, sich von etwas zu trennen? Gute Fragen sind das, denn unser Ballast ist gewaltig. Alles, was wir mit uns herumtragen, kostet uns Energie. Es ist mutig, hinzuschauen und Ordnung in die Ecken der Seele zu bringen. Weniger Ballast, leichterer Weg. Mehr Klarheit, weniger Trübsinn im wahrsten Sinn des Wortes.

Während ich diese Zeilen schreibe, regnet es und ich hoffe, genug für heute, um das Gießen zu sparen. Regen ist Regen, das ist was anderes, als wenn ich mit dem Schlauch versuche, das Schlimmste zu verhindern. So ist es auch mit dem Leben. Wie der gute Gärtner niemals ohne Schere den Garten betritt, weil es immer was zum Stutzen gibt, geht der aufmerksame Mensch achtsam durch seine Gedanken und sortiert vieles sofort aus. Wenn wir dem Grübelzwang in unserem Inneren nachgeben, wird Grübeln die Herrschaft übernehmen. Es ist normal, dass wir reflektieren, uns Sorgen machen, auch mal grübeln, aber es kommt hier sehr auf die Quantität an, denn schnell übernimmt Grübeln die Macht und lässt uns zunehmend in Angst und Not kommen.

Es geht hier keinesfalls darum, notwendige Trauer, Nachdenken über wichtige Fragen oder Vergleichbares für überflüssig zu erklären. Mein „nicht so viel grübeln“ bezieht sich auf die ineffektive Beschäftigungsschleife, die unser Gehirn gern aus irgendwelche kleinen Dingen machen kann. Und peng!, ehe wir uns versehen, haben wir einen Riesenknödel gerollt, vollgestopft mit allem, worüber wir uns die letzten 50 Jahre aufgeregt haben. Hier was, da was und alles rein, Kopf vollgestopft mit dem Resultat, dass wir glauben, gar keine Kapazitäten mehr freizuhaben.

Vergleichbar ist es mit einer Festplatte. Unser Arbeiten am PC belegt Platz und wenn wir vergessen, unser System aufzuräumen, zu komprimieren und uns immer wieder zu überlegen, was gelöscht werden kann, müllen wir das Ding zu. Wie im echten Leben werden wir dann seeeehr langsam, ineffektiv und es ploppen die immer gleichen Fenster auf. Mir reicht es ja schon, wenn jemand auf dem Desk so gefühlt 40 Ordner draufhat. Der Rest des Systems dürfte dann ähnlich schlecht funktionieren. Less is more.

Das Leben ist eine Megaübung im Loslassen. Loslassen falscher Vorstellungen. Loslassen toxischer Beziehungen und Gedanken. Loslassen von Dingen, die man nicht mehr braucht. Loslassen von fehlgeleiteten Meinungen und Ansichten, denen wir alle miteinander oft genug unterliegen. Aber sich davon trennen wäre der gute Weg. Wenn wir nicht gut im Loslassen sind, wie wollen wir dann das letzte große Loslassen erfolgreich bewältigen? Vielleicht verstehen wir nur so den Spruch, der Jacob Böhme zugeschrieben wird: Wer nicht stirbt, bevor er stirbt, verdirbt, wenn er stirbt.

Also – was kannst du in diesen Tagen loslassen an materiellen Gütern, an Gedanken, an Grübelschleifen? Gewinnst du dadurch Energie, Raum und Lebensfreude? Teste es einfach mal.

Danke an Steffi für dieses tolle Panoramabild aus dem Allgäu. Beim Wandern braucht man leichtes Gepäck, auch das eine gute Loslassübung. Zur Belohnung dann ein solcher Blick, den sie mit uns teilt. Danke dafür!

Ruhe fürs Gemüt

Blicke in die schöne Natur und beruhige dein Gemüt über das Müssende.

Ludwig van Beethoven, 1770–1827

Theresa hat in Eisenach in den Burggarten für uns geblickt. Gezähmte Natur zum Wohle des Menschen. Danke!

Donnerstags-Nachdenk-Input

Das Gegnerische finde sich zusammen – Heraklit ist vielleicht der erste co-kreative Kopf gewesen. Nehmen wir statt gegnerisch „vielfältig“, das schafft weniger Lager und wertschätzt die Tatsache, dass jeder aufgrund seiner Prägungen eine andere Sicht auf alle Dinge der Welt und des Lebens hat. Wir wachsen in verschiedenen Ländern, Sprachen, Kulturen, Religionen und Wirtschaftsformen auf, wir rund neun Milliarden auf dem Planeten. Natürlich ist uns das Meiste fremd, was uns begegnet, denn wenn wir schon Sprachunterschiede von Dorf zu Dorf und Meinungsverschiedenheiten in einem Land haben, wie potenziert sich alles weltweit! Heraklit stellt fest: Aus Verschiedenheiten entsteht die schönste Harmonie.

Ein Musikstück ist nicht schön, wenn es aus einem Ton und vielleicht noch seiner Oktave dazu besteht. Wir würden es binnen weniger Momente als langweilig und rasch nervtötend erleben. Die Mischung macht vieles erst schön oder erträglich. Als wir Kinder waren, gab es eine Süßigkeitentüte mit verschiedenen Gummibärsachen und Lakritze. Was für ein Glück, dass meine beste Freundin totaler Lakritzfan war – so konnten wir uns diese Tüte fröhlich teilen, weil ganz klar war, wer was nehmen wird. Die Vielfalt hat in diesem Punkt für Frieden gesorgt.

Fremdes macht uns Angst, weil es fremd IST. Es bleibt fremd und angsteinflößend, wenn wir nicht in den Austausch darüber kommen, lernen und so unseren Horizont erweitern können. Erst dann, wenn wir Fremdes kennengelernt haben, können wir damit umgehen und erfahren vieles im besten Fall als großartige Ergänzung und Erweiterung. In der Musik sind Crossover-Projekte nicht ungewöhnlich, Klassik trifft Rock, Mozart trifft Ägypten – vieles lässt uns Vertrautes neu erleben. Diese Freiheit nehmen wir uns im Alltag oft. Wir bilden Lager und bleiben somit weit entfernt vom Verständnis, Erweiterung und Buntheit.

Schwarz und Weiß sind Gegensätze, die Farbpalette ist jedoch bunt. In allem. Herzliche Einladung, mit Menschen ins Gespräch zu kommen und in den Austausch, die nicht unserer Meinung sind. Es wird verwirrend sein! Wir werden viel darüber lernen, wo wir selbst nicht offen sind. Wir nehmen uns damit Entwicklungsmöglichkeiten. Wie oft ist es uns schon so gegangen, dass wir zugeben durften: Oh, so hab ich das noch nie gesehen! Das ist ja spannend! Jetzt verstehe ich dich erst!

Es ist nicht verboten, die Welt mit der kindlichen Neugier zu erleben. Es könnte zu Überraschungen kommen und zwar unerwarteten. Nicht alle sind negativ, oder? Wir essen uns oft um den Globus, doch wie es mit den Menschen, den Meinungen und dem Alltagsleben dort ausschaut, wissen wir nicht. Schade drum.

Allen einen fröhlichen Jupitertag. Einen, in dem wir unsere Herzen öffnen, uns jenseits der Vorurteile begegnen, denn sie sind oft nachgeplappert ohne eigene Erfahrung. Nehmen wir uns nicht den größten Teil der Menschen und der Welt weg durch festgefahrene Meinungen.

 

Stephanie ist mit ihrer Kamera gerade im Allgäu unterwegs und schickt herrliche Fotos! Liebes Danke und frohes Wandern euch!

Schönste Harmonie

Das Gegnerische finde zusammen und aus den Verschiedenheiten entstehe die schönste Harmonie.

Heraklit

In diesem Foto von Theresa (DANKE) finden sich Natur und Menschenkunst aufs Schönste zusammen.

Mittwochs-Nachdenk-Input

Wenn wir ab nächster Woche Ferien haben, bedarf es der Bedächtigkeit. Unsere Liste der Dinge, die wir „mal machen, wenn wir Zeit haben“ ist lang. Da uns Corona nicht weniger, sondern mehr Arbeit beschert hat, war es nichts mit Abarbeiten dieser Liste während des Lockdowns. Da steht viel drauf, das Meiste wird direkt weiter draufbleiben. Gartenarbeit bei den Temperaturen besteht nur im Gießen, Ernten und Verarbeiten, was viel Säftemachen bedeutet. Der Rest wird liegen bleiben.

In diesem Jahr wird die Auszeit ein Thema haben – lernen. Es ist das Zeitfenster, in dem wir uns in Ruhe hinsetzen und für unsere Klausur und Prüfungen im Herbst lernen können. Derzeit liegen viele hochinteressante Bücher auf dem Ungelesen-Tisch, für die darf auch Zeit sein. Ich freue mich auf das nächste Jahr schon riesig vor, da steht eine weitere hochspannende Fortbildung an, die unser Portfolio bestens abrundet. Seit Jahren möchte ich sie machen. Nie war Zeit. Jetzt nehme ich sie mir, sie wird uns auf eine weitere Ebene des Arbeitens bringen. Allein die Vorfreude ist toll.

Wir dürfen wieder lernen, gut für uns selbst zu sorgen. Das hat dieses Jahr sehr intensiv gezeigt. Viele Menschen haben keine Ahnung mehr, wie man das macht. Sie haben seit Jahrzehnten die Verantwortung für ihre körperliche und mentale Gesundheit abgegeben, verlernt, dass die großen Dinge oft sehr schlicht sind, es nicht um mehr, abgefahrener oder schräger geht, sondern um ein Heimkommen in sich selbst und mit ausgewählten lieben Menschen.

Lebensordnung wird wichtig, wenn äußere Versorgungssysteme versagen. „Der Mensch bringt täglich sein Haar in Ordnung, warum nicht auch sein Herz“ heißt ein Sprichwort. Es geht um Rhythmus, um Ernährung, die auch Medizin ist, ausreichenden guten Schlaf, angemessene Bewegung, damit wir wieder in die eigene Kraft kommen, anstatt uns auf Pillen und Urlaubsfluchten zu verlassen. Es geht nicht um komplexes Gedöns mit riesigem Aufwand, sondern recht einfache Handlungen.

Vielleicht gelingt es uns, mehr Menschen mitzunehmen auf diese Reise, die nicht in eine nostalgisch verklärte Vergangenheit führt, sondern sehr wohl altes Wissen mit modernsten Erkenntnissen verbindet und daraus nachvollziehbare, schlichte und stärkende Schritte macht. Wie wesentlich Gesundheit ist, haben wir 2020 gelernt. Doch wie wir diese Gesundheit jeden Tag ausbalancieren, dazu fehlt vielen das Vertrauen und die Erkenntnis, dass es ihre vordringliche Aufgabe ist. Nur wer gesund ist, kann gut arbeiten, leben, wachsen und sich entwickeln. Der kranke Mensch hat nur eine Aufgabe – gesund zu werden.

In diesem Sinne allen einen sehr beweglichen Wochenteilungstag in einer Woche, die man durchaus als heiß bezeichnen kann.

Für alle mit Sehnsucht nach Abkühlung und blauer Stunde ein Foto von Stephanie! Danke!

Erholung!

Erholung ist die Würze der Arbeit.

Plutarch, 45-120

Theresa hat einen der schönsten Blicke auf Würzburg von der Festung aus festgehalten. Danke!

Dienstags-Nachdenk-Input

Brücken – sie verbinden Menschen, Städte, Länder. Sie ermöglichen Übertritte an Stellen, an denen man es braucht, um sich zu begegnen. So muss keiner kilometerweit wandern, um eine Furt zu suchen, die man gefahrlos queren kann. Deshalb war das Zerstören von Brücken in Kriegszeiten ein bewährtes Mittel, um Schaden anzurichten. Heute gibt es Luftbrücken, die Nöte lindern können.

In unserer Gesellschaft fehlen derzeit viele Brücken. Menschen haben ihre Brücken zueinander abgebrochen. Die Pandemie sorgt für Abstand, Abstand trennt auch innerlich. Verschiedene Meinungen schaffen Lager. Wer Lager hat, muss Feindbilder pflegen. Gelegentlich fühlt es sich so an, als wäre das genau Absicht. Lagerbildung erzeugt Angst, Angst macht schwach und schwache Menschen werden schneller krank, glauben eher Demagogen und lassen sich einfach führen. Ich wage mal die kühne Behauptung, dass noch im Januar Dortmund- und Bayernfans miteinander auskommen konnten, vielleicht mühsam, aber meistens ging es doch. Und nun streiten wir um Masken, Abstand, Schulordnungen und vieles mehr und splittern uns gesellschaftlich immer mehr auf.

Die psychiatrischen Kliniken und Ambulanzen melden steigende Zahlen von Erkrankten – wen wundert das. Homeoffice und –schooling belastet Familien massiv, wirtschaftliche Ängste kommen dazu und oft enge Wohnverhältnisse in der Stadt. Das wird gerade bei knapp 40 Grad mürbgekocht. Das Aggressionspotential kann man mit Händen greifen. Egal welche Medien man aufschlägt oder einschaltet – die Pandemie mit ihrer zweiten Welle ist das Thema überhaupt und sorgt für tiefe Ängste von Angestellten, Eltern, Selbstständigen, die früher mal einen Mittelstand gebildet haben und das Grundgerüst der Gesellschaft waren.

Unvernunft waltet, vor allem, wenn Menschen im Urlaub ihren Alltag vergessen wollen und das dann auch in jeder Hinsicht tun. Ich habe Klienten, deren Immunsystem durch Erkrankungen unterdrückt wird, sie haben berechtigt Angst vor Infektionen. Ich mache mir Gedanken, wie ab September der Unterricht in unserer Schule funktioniert oder ob es einen weiteren Lockdown gibt und wir wieder auf Filme umsteigen müssen.

Lasst uns neue Brücken bauen. Es geht nicht, dass Angst unser Handeln bestimmt oder dass wir aus Angst in Grübeleien und damit langfristig Depressionen verfallen. Es geht nicht, dass Angst aus Menschen mit Verstand zittrige Schafe macht, die ohne nachzudenken tun, was andere sagen, deren Gründe lauter sein können, aber nicht müssen. Versuchen wir das, was man „gesunden Menschenverstand“ nennt, erneut mit Leben zu füllen, anstatt die Energie in Hasstiraden zu stecken.

Bleiben wir wach, achtsam und sorgsam. Benutzen wir unser Gehirn für vernünftige Haltungen, ein offenes Herz für die anderen. Wer Brücken einreißt, erkennt oft erst dann, wie wichtig diese Brücken gewesen wären. Nicht immer lassen sie sich leicht wieder errichten. Manchmal ist zu viel zerstört.

Allen einen kraftvollen und klugen Marstag, der viel Energie mit sich bringen kann und uns auffordert, ins Tun zu kommen.

 

Auch dieses wunderbare Foto hat Stephanie gemacht! Danke!

Brückenbauer

Niemand kann dir die Brücke bauen, auf der gerade du über den Fluss des Lebens schreiten musst, niemand außer dir allein.

Friedrich Nietzsche

Diese Brücke hat Stephanie fotografiert. Dankeschön!

Montags-Nachdenk-Input

Nestroys Zitat greift es schön – kaum ist etwas bewältigt, folgt  die nächste Herausforderung. Letzte Woche meinte ein Klient ein wenig genervt: „Wird es denn auch mal ruhig?“ Ich glaube schon. Es gibt in jedem Leben Phasen der Ruhe, auch wenn sie gefühlt kurz sind. Phasen, in denen Dinge funktionieren, wir Alltag haben. Der nervt uns irgendwann und es heißt: „Tretmühle“. Erstaunlicherweise ist es genau dieser Alltag, den sich die meisten Menschen mit lebensbedrohlichen Krankheiten wünschen, wenn sie sagen: „Ich möchte einfach mal wieder einen ganz normalen Tag haben.“

Offenbar sind wir sehr geneigt, uns stets mit dem Abwesenden zu beschäftigen, nicht mit dem, was gerade ist. Grübelschleifen fräsen sich in unser Denken, denen wir ausgiebig folgen und meinen, mit noch mehr Nachdenken würden wir irgendwann auf gute Lösungen kommen. Reflektion ist sinnig. Wenn das Denken zum Selbstläufer wird und permanent in Schleifen läuft, müsste uns auffallen, dass das weder zur Lösung des Problems noch zur Steigerung der Stimmung beiträgt.

Das Bambusfoto erinnerte mich daran, wie wichtig Flexibilität ist. Der Bambus ist hochflexibel, im Sturm biegt er sich, bricht aber nicht. 2020 ist ein Jahr, in dem trainieren wir das kollektiv. Theoretisch jedenfalls. Praktisch haben wir die Situation, dass sich viele in jeweiligen Nischen festsetzen und ihre Ansichten betonieren und neue Schleifen pflegen.

Probleme löst man nicht durch permanentes Wiederkäuen wenig zielführender Marter- und Foltergedanken. Das kann man mal ne Zeitlang machen, das ist vollkommen in Ordnung, aber irgendwann muss man die Hacke in die Hand nehmen und den Boden auflockern, um Neues zu säen. Denn an irgendeinem Tag möchte ich ja wieder etwas ernten und das kann ich erst, wenn ich mich der Mühe des Hackens, Grabens, Säens, Hegens und Pflegens unterzogen habe.

Gestern habe ich einen großartigen Input bekommen zum Thema Selbstdisziplin, Zeitmanagement und Prioritäten von Peter Kreuz und Anja Förster, deren neues Buch erschienen ist. Klare Aussagen für Menschen, die gewohnt sind, Verantwortung für ihre wertvolle Lebenszeit zu übernehmen. Manchmal ist das der Unterschied zwischen Menschen, die trotz aller Lebensrückschläge, Krisen und Katastrophen, die alle treffen, aufstehen und immer wieder neu anfangen und Menschen, die aufgeben. Dieser Moment des Umschwungs zwischen „wird ja nie mehr gut“ zu „schauen wir einfach mal, was geht.“ Genau diesen Moment wünsche ich allen zum Wochenstart, die gerade in Grübelschleifen hängen. Zukunft „geschieht“ nicht einfach so. Wir gestalten sie. Wie soll sie für dich sein?

Allen einen wunderbaren Montag.

 

Den hochgewachsenen Bambus hat Theresa fotografiert, vielen Dank!

Den Acker neu pflügen

Kaum ist die Ernte einer Erfahrung glücklich eingebracht, so wird der Acker vom Schicksal neu umgepflügt.

Johann Nepomuk Nestroy, 1801–1862

Das erntereife Getreide hat Manuela fotografiert!

Wochenend-Nachdenk-Input

Erntezeit. Die meisten Felder sind geleert. Die Bauern haben die Ernte des Getreides teilweise beendet und es war nicht das beste Jahr. Im Grunde das dritte Dürrejahr in Folge, nur unseren modernen Warenströmen verdanken wir das Vermeiden von Nöten. Ein Luxus, den sich nicht viele Länder leisten können. Lughnasad liegt hinter uns, das Fest, das uns darauf verweist, nicht nur zu ernten, sondern auch gleichzeitig die Saat für das nächste Jahr auszusortieren und wegzulegen. Dankbar zu sein für die Möglichkeit, etwas ernten zu können. Garben wurden gebunden und es wird auch um Schutz für den Rest der Ernte gebeten, denn vieles steht noch auf den Feldern und in den Gärten, manches wird jetzt erst gesät, damit wir im Herbst noch einmal frischen Spinat und Feldsalat haben. Ich warte die Hitzewoche noch ab, dann werde ich auch für den Herbst säen.

Saint-Exupéry stellt klar, dass wir nichts Lohnenswertes ernten, wenn wir aus Profitgründen säen. Das ist im richtigen Leben auch oft so. Wir stecken Erwartungen in Projekte und Menschen mit dem Ziel, dass möglichst viel für uns selbst dabei herausspringt und werden dann entsprechend oft enttäuscht. Natürlich müssen wir Gewinne erwirtschaften, um Geld zu verdienen, denn diese Gesellschaft funktioniert derzeit noch so. Es ist auch gar nicht verboten, Geld zu verdienen. Es geht nur um die Frage, womit man das tut.

Vor Jahren gab es eine Bankenwerbung, die mir gut gefallen hat: „Was macht mein Geld im Kindergarten? Sinn“. Das fand ich prima, denn es zeigt auf, dass das Geld, was ich zurücklege und was meine Bank dann investiert, etwas antreiben kann, was wichtig für die Zukunft ist. Das eine fördert das andere, eine gute win-win-Situation. Sinn, so stellte bereits Viktor Frankl fest, ist die Sache, die das Leben erst lebenswert macht. Wem der Sinn abhanden kommt, kämpft im Überlebensmodus. Ohne Sinn wird es eng.

Sinn ist sehr oft ein Thema in der Praxis. Ich werde gefragt: Was ist denn der Sinn des Lebens? Darauf gibt es keine Patentantwort. Sinn will entdeckt, gefunden werden. Manche Menschen werden geboren und sie wissen schon mit drei, was sie werden sollen und ziehen es konsequent durch und werden Meister ihres Fachs. Andere haben viele Begabungen und verzweifeln, welche sie denn ausbauen sollen, anstatt die zu forcieren, die ihnen gerade am meisten liegt und die anderen mitnimmt für später. Menschen, die den Lebenssinn verlieren, neigen dazu, das Leben loszulassen. Vielleicht besteht der Sinn darin, manches einfach auch auszuhalten und ins Vertrauen zu gehen, dass sich der Sinn schon erschließt. Er kann auch beim Gehen des Lebensweges entstehen – der Sinn ist das Gehen, nicht das Ziel erreichen.

Was immer uns antreibt, morgens aufzustehen, also unser Ikigai – es muss nichts weltbewegend Großartiges sein, sondern etwas, das uns gemäß ist, das unser Herz wärmt. Für manche besteht der Sinn darin, für andere Menschen da zu sein, andere retten Wale, den Urwald oder schreiben Bücher. Wieder andere sind tolle Köche, wunderbare Altenpfleger und großartige Eltern. All das ist und macht Sinn. Manchmal ist Sinn, einfach da zu sein, die Arme auszubreiten und Trost zu geben.

In Zeiten, in denen uns der Sinn zu fehlen scheint, brauchen wir die Kraft, das auszuhalten. Nicht jeder kann das aushalten. Wir können ebenfalls nicht jeden halten, der die Kraft nicht aufbringt und seine Entscheidung gegen das Leben trifft. Dann ist es wichtig, sich um die Familie zu kümmern und für den Menschen gute Gedanken zu haben. Zu versuchen, sich selbst stark zu machen, damit man selbst immer wieder im Feuer des Lebens stehenbleiben kann, ohne zu verzweifeln.

Vielleicht denkt der eine oder andere, dass das schon heftige Themen fürs Wochenende sein mögen. Ja und nein. Wir erleben inzwischen in erhöhter Frequenz in der Praxis, dass Menschen den Sinn nicht mehr greifen können, Fragen ans Leben haben und mit zerstörtem Vertrauen massiv kämpfen. Wenn die Sonne scheint, kann man das offenbar eher abpuffern. In wenigen Tagen klopft der Herbst an und damit die eher dunkle Jahreszeit. Bleiben wir offen für das, was ist. Laden wir selbst immer wieder neu das Leben ein, uns Sinn zu zeigen und Wege zu eröffnen, die wir gehen können oder uns stärkt, dass wir die Phasen, in denen sich wenig Licht am Horizont zeigen mag, aushalten können. Es gibt immer Wege, Möglichkeiten und Türen. Manchmal braucht es die Zeit des Aushaltens und Offenbleibens.

Allen ein gutes Wochenende mit Freude, Freundlichkeit und vielen Momenten, in denen der Sinn des Lebens greifbar werden mag. Und allen, denen es nicht gut geht – geht raus, bewegt euch, wandert in der Natur und lasst Erwartungen auf schnelle Lösungen los. Manchmal kommen die Antworten erst, wenn wir losgelassen haben. Wu wei. Wir geben alles, lassen los und – die Zukunft kann uns die Hand reichen.

 

Den Gong hat Christoph selbst geschmiedet und er ruft bei uns die Lernenden zu den Mahlzeiten und zurück in den Kurs.

Freitags-Nachdenk-Input

Das Zitat von Rudolf Steiner ist über 100 Jahre alt. Steiner wünscht sich als soziale Grundtugend, dass sich die Menschen gegenseitig das Vertrauen schenken. Für einen Moment war das im Frühjahr vorhanden – die Menschen haben sich zurückgezogen und vertraut, dass Patienten gut versorgt werden, alles getan wird, um eine Katastrophe zu verhindern. Inzwischen machen wir eher die Erfahrung von Gräben, die wir zwischen uns ausheben, weil Meinungen unterschiedlich sind und Misstrauen statt Freundlichkeit toxisch unsere Adern durchströmt.

Vor den Erlebnissen dieses Jahres leuchtet das Zitat von Steiner für mich förmlich heraus. Wie oft erlebe ich das massive Leiden unter Vertrauensbrüchen in der Praxis. Die meisten Probleme der Menschen entstehen durch gestörtes Vertrauen. Ein Kind wird missbraucht – wem sollte es jemals wieder trauen können, wenn es das Schlimmste erfahren hat, wenn Menschen seine Integrität überrennen und ihrem Schutzauftrag für ein Kind nicht nachkommen? Partner betrügen sich und missbrauchen damit das Vertrauen, das in eine Beziehung gesteckt wird. Im Geschäftsleben wird Vertrauen missbraucht durch Diebstahl, in die eigene Tasche wirtschaften, jemanden übervorteilen. Im Sozialen unterstellen wir Menschen, die Hilfe beziehen, Faulheit, sich in der sozialen Hängematte ausruhen und vieles mehr in allen Bereichen unserer Lebenswirklichkeit.

Es ist vollkommen richtig, dass es immer und überall Menschen geben wird, die das Vertrauen verspielen. Auf der anderen Seite stehen Millionen Menschen, die das nicht tun. Wenn ich den Tonfall betrachte, der in den Medien herrscht, das Gefühl von fehlerhafter oder mangelhafter Information, die Tatsache, dass wir keinen klar kommunizierten Fahrplan haben für den Herbst, was die Pandemie betrifft und die Bundesländer aus politischen Gründen eigene Suppen kochen, anstatt dass sich wenigstens innerhalb eines Landes die Menschen einigen, was gesunder Menschenverstand sein könnte, stelle ich fehlendes Vertrauen fest. Menschen trauen sich nicht einmal mehr selbst. Sie können weder ihrer Wahrnehmung vertrauen (was durchaus richtig ist, denn wir sehen die Welt nie, wie sie ist, sondern so, wie wir selbst sind) noch ihren Beziehungen (was tragisch ist) noch sich selbst (was uns in tiefste Verzweiflung stürzen kann).

Vertrauen beginnt mit einem Vorschuss in den anderen Menschen. Ich schenke ihm mein Vertrauen erst einmal ohne Grund und Anspruch. Damit bekommt der andere die Möglichkeit, das Vertrauen zu rechtfertigen oder zu enttäuschen. Enttäuschung bedeutet Ende der Täuschung, ich weiß also über den anderen Bescheid in der Zukunft. Ich ziehe jedoch daraus keinen Allgemeinschluss auf die Menschheit, sondern auf eine Person.

Wir werden immer mehr gezwungen, uns miteinander auf neue, gute und auf „gesundem Menschenverstand“ (falls ihn jemand findet, bitte melden) basierende Weise an einen Tisch zu setzen, um die Fragen der Menschheit zu lösen. Jeder, der an diesem Tisch sitzt (also alle Menschen auf dem Planeten) wird freundlich gebeten, Vertrauen mitzubringen, nur so können wir uns an unsere guten Seiten erinnern. Wem Misstrauen begegnet, handelt gemäß der selffullfilling prophecies „Hab ichs doch gleich gesagt, denen kannst du nicht trauen!“ Es braucht Ruhe, Besonnenheit, eine neue Form der Offenheit, sehr viel Lernbereitschaft und die Fähigkeit, mit dem Herzen zu lauschen, den Verstand einzuschalten und zu versuchen, wertungsfreier zu werden. Dann kann Vertrauen wachsen. Vertrauen braucht Raum, Fürsorge und ein paar Zutaten wie gegenseitige Wertschätzung, auch wenn die Ansichten divergieren, die Fähigkeit, das Ego zu beschneiden und den Mut, zunächst unvorstellbare Wege zu probieren.

Allen einen Venustag voller Vertrauen. Beginnen wir wie immer bei uns selbst: trauen wir uns heute selbst über den Weg. Trauen wir uns zu, heute so zu handeln, wie die beste Version von uns handeln würde. Was würde das Vertrauen tun? Was würde die Liebe tun? Was tue ich?

Manuela hat die Hummel im Bild festgehalten. Dankeschön dafür!

Vertrauen in den Menschen

Notwendig ist, dass in der Zukunft vergrößert werde dasjenige, was man Vertrauen des einen Menschen zum anderen nennen kann. Es wäre eine soziale Tugend, eine soziale Grundtugend. In unserer Zeit der sozialen Forderungen ist diese Tugend am wenigsten vorhanden, denn die Menschen fordern, dass für die Gemeinschaft gelebt werde, aber keiner hat das Vertrauen zum anderen. In unserer Zeit der sozialen Forderungen walten die allerunsozialsten Instinkte.

Aus einem Vortrag von Rudolf Steiner, gehalten in Dornach am 14. Dezember 1929

Danke an Sigrid für das feine Foto aus dem Norden.

Donnerstags-Nachdenk-Input

Auf Hebbels interessante Aussage zur Kultur bin ich gestoßen. Viele Schritte führen zur Höhe einer Kultur, nur einer nach unten. Kultur kommt von colere, das lateinischen Wort bedeutet urbar machen, bebauen, pflegen, ausbilden. Unter Kultur verstehen wir heute alles, was die Menschen selbstgestaltend tun im Gegensatz zur Natur. Kultur und Zivilisation bedeuten zweierlei, beschrieben hat es Immanuel Kant so: „Wir sind im hohen Grade durch Kunst und Wissenschaft cultivirt. Wir sind civilisirt bis zum Überlästigen, zu allerlei gesellschaftlicher Artigkeit und Anständigkeit. Aber uns für schon moralisirt zu halten, daran fehlt noch sehr viel. Denn die Idee der Moralität gehört noch zur Cultur; der Gebrauch dieser Idee aber, welcher nur auf das Sittenähnliche in der Ehrliebe und der äußeren Anständigkeit hinausläuft, macht blos die Civilisirung aus.“ (in: Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, 1784).

Ich dachte die letzten Tage viel über das nach, was wir unter Kultur verstehen, denn es ist sehr unterschiedlich, was Menschen alles Kultur nennen. Dabei ist mir wieder aufgefallen, dass wir viele Begriffe haben, sie oft im Alltag nicht sauber definieren. Ein Klient hatte letzte Woche gesagt, wenn wir so weitermachen, sei das der Untergang unserer Kultur. Er meinte vermutlich unserer derzeit gepflegten Lebensform und ich bin mir nicht sicher, ob das nicht gar ein Vorteil wäre.

„Civilisiert bis zum Überlästigen“ nannte es Kant und bemängelte fehlende Moral. Begriffe wie „ehrbarer Kaufmann“, „zu seinem Wort stehen“, „per Handschlag besiegeln“ sind nicht mehr im Gebrauch bei vielen und die, die sich daran halten, erleben oft genug Ausnutzung ihrer „Gutmütigkeit“.

Immer wieder kehren wir in der Frage, wie wir unser Leben leben möchten, zu Grundwerten zurück. Dass wir bei dieser Menge Menschen auf dem Planeten permanent jemandem begegnen, der in keiner Weise unsere Weltsicht teilt, liegt in der Natur der Sache. Dass mich „das Andere“ verunsichert, verängstigt und verwirrt, ist klar. Ich empfinde das weniger als negativ, eher als Bitte an den anderen, mir seine Weltsicht zu erklären ohne missionarischen Eifer. Wahrscheinlich hat er aus seiner Sicht genauso Recht wie ich aus meiner, beide sind wir garantiert nicht im Besitz einer Wahrheit.

Kultur basiert auf Werten. Werte teilen wir mit vielen Menschen. Sie zu achten, nach ihnen zu handeln und das Herz und den Geist offen zu halten für den anderen, der ganz anders denkt und fühlt und von ihm seine Welt erklärt zu bekommen, ist ebenfalls ein Stück Kultur. Werte sind unveräußerlich. Ignoranz, Beleidigungen, Rechthaberei und Niedermachen gehören für mich nicht zu einer irgendwie gearteten Kultur. Ich muss niemandes Meinung teilen. Niemand muss meine Meinung teilen. Aber haben dürfen wir verschiedene Meinungen. Diese verändern sich durch Begegnung, Austausch, Erkennen, Verstehen und Begreifen. So kann Neues wachsen. Wiederholungen des immer Gleichen machen dies noch nicht zur Wahrheit.

Allen einen freudigen Jupitertag. Wer weiß, was uns an diesem Tag begegnet, das uns verwirrt, verändert, einlädt, gewohnte Wege zu verlassen und Neuland zu entdecken.

Den Termitenhügel hat Theresa in Australien entdeckt. Danke für das Foto!